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Partycrasher

Nach zwei Jahren Pandemie fühlen sich Menschenansammlungen komisch an. Wenn dann auch noch die Masken fallen, der Atem der Umstehenden nach Alkohol riecht und ein kalter Aprilregen penetrant in den Mantelkragen tropft, muss man schon mit Vorfreude vollgepumpt sein, um das Lockdown-Sofa nicht zu vermissen. Ein großes Fußballfest im ausverkauften Neckarstadion war angekündigt, doch am Ende geht so ziemlich alles in die Binsen.

Wo ist der Mut?

Jeder Hobby-DJ weiß: Wenn alle gut drauf sind und die Tanzfläche stürmen, darfst du keinen Rohrkrepierer auflegen. In meiner seligen Jugend schlug in solchen Momenten die Stunde von Donna Summers „Hot stuff“ oder Alice Coopers „Poison“. Der VfB präsentiert der erwartungsfrohen Fangemeinde nach zwölf Minuten dagegen einen echten Stimmungskiller: Mavropanos und Karazor rennen sich beim Versuch, einen eigentlich ungefährlichen Ball zu klären gegenseitig über den Haufen, Ito lässt sich im Stile eines Kreisklassen-Liberos 20 Meter hinter die Kette fallen, hebt das Abseits auf und wird beim folgenden Haaland-Querpass auch noch getunnelt.

Stimmungskiller nach 12 Minuten: Brandt schieb zum 0:1 ein. (Foto: Matthias Hangst/Getty Images)

Wer erwartet hat, dass die Matarazzo-Elf in der Folge alles unternehmen würde, um den Gelb-Schwarzen einen heißen Kampf zu liefern, sieht sich getäuscht. „Wir wollen mutig sein“ gehört zu den Lieblingssätzen des VfB-Trainers. Über weite Strecken der ersten Halbzeit wirkt seine Mannschaft allerdings gehemmt wie ein 15-Jähriger bei seinem ersten Date. Einen der wenigen Lichtblicke vermasselt Omar Marmoush nach herrlichem Mangala-Flugball. Statt die Kugel humorlos ins lange Eck zu schieben, versucht die Wolfsburg-Leihgabe einen Kunstschuss. Wenn man den Gerüchten Glauben schenken darf, träumen die beiden Genannten heimlich von der Premier League. Am Freitagabend sind sie von europäischem Spitzenfußball meilenweit entfernt.   

Spätes Erwachen

Zu Beginn der zweiten Halbzeit ist die Nässe bis zur Unterwäsche durchgedrungen. Ein Aufbäumen gegen die drohende Niederlage hätte uns vielleicht ein bisschen erwärmt, aber der Gast aus Dortmund darf sich weiterhin relativ ungestört die Bälle im Mittelfeld zuspielen. Den Respekt vor Haaland und Co können die Spieler im Brustring erst ablegen, als es 0:2 steht. Julian Brandt hat zuvor einen eigentlich schon verschleppten Gegenangriff aus 18 Metern mit einem unplatzierten Aufsetzer abgeschlossen. Florian Müller macht zuerst einen Schritt in die falsche Ecke und ist dann zu spät mit der linken Hand am Boden.  

In der Schlussphase bekommen wir endlich auch vor der Cannstatter Kurve Strafraumszenen zu sehen. Kobel fliegt nach einem Sosa-Schlenzer wie im Lehrvideo, Massimo schafft es, im Fünfmeterraum völlig unbedrängt eine Thommy-Flanke zu verpassen und wiederum Sosa setzt eine Direktabnahme Marke Weltklasse nur auf den Querbalken. In diesen Minuten erahnen wir, was möglich gewesen wäre, wenn der VfB die Dortmunder Abwehr von Anfang an unter Druck gesetzt hätte.   

Superstau

Knapp 60 000 Zuschauer, darunter gut 6 000 Gästefans, bedeuten nicht nur eine brodelnde Atmosphäre, sondern auch organisatorische Herausforderungen. Die Anhänger beim Einlass im strömenden Regen durch ein Nadelöhr schicken? Mancher Event-Fan wird sich gewundert haben, wie groß die Diskrepanz zwischen dem Klub-Marketing und dem Service vor Ort ist. Eine gute halbe Stunde nach Spielende den S-Bahnverkehr wegen Bauarbeiten einstellen? So etwas kann wohl nur die Stadt Stuttgart.

Kiebitze haben den Oberbürgermeister am Freitagabend in der Cannstatter Kurve gesehen. Hat der nicht neulich mit großem Tamtam einen Tunnel eingeweiht, wohl wissend dass der Verkehrsabfluss aufgrund einer anderen Baustelle gar nicht funktionieren konnte? Da stand er und lächelte inmitten des Superstaus. Irgendeiner sollte Herrn Nopper mal sagen, dass die Kurve kein Genussplätzle und der Abstiegskampf kein Fassanstich ist. Vielleicht klappt es dann gegen Wolfsburg wieder.  

VfB Stuttgart – Borussia Dortmund 0:2

Zum Weiterlesen:

VertikalGIF #VfBBVB: Schwabenland unter! – Vertikalpass

Mein erstes Spiel im Stadion: 1980 VfB – HSV 3:2 (Tore: Müller, Kelsch, Allgöwer) Mein schönstes Stadionerlebnis: 1991 VfB – BVB 7:0 (Allgöwer 2, Sverrisson 3, Walter 2) Meine erste Auswärtsfahrt: 1991 BVB – VfB 0:0 Emotionalster Erfolg: 1992 Deutscher Meister, letzter Spieltag B04 – VfB 1:2 (Tore: Walter, Buchwald) Lieblingsspieler: Helmut Roleder, Asgeir Sigurvinsson

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