Allgemein

Nachsitzen

Am Abend eines Frühsommertages, der den versöhnlichen Schlusspunkt einer verkorksten Saison bilden sollte, bleiben nur leere Blicke – und die Erkenntnis, dass die VfB-Fans im Gegensatz zur Mannschaft in großen Spielen ihr bestes Gesicht zeigen. Nach 2019 müssen die Weiß-Roten erneut in der Relegation um die Bundesligazugehörigkeit zittern.

Pech? Eine Verkettung unglücklicher Umstände? Führungsversagen? In erster Linie zeigt das Spiel gegen Hoffenheim, dass diese Mannschaft hartnäckig auftretende Schwächen besitzt, die keiner der vier Übungsleiter beheben konnte. Das Ärgerliche: Die Unzulänglichkeiten sind keineswegs neu. Schon vor Jahresfrist brachte die Analyse am Saisonende ähnliche Erkenntnisse.

Fritzle tröstet den niedergeschlagenen Torschützen Tomás. (Foto: Baumann via zvw.de)

Ein Königreich für ein Tor

„Wir haben es in der eigenen Hand“. Wenn ich einen Satz nach den zahlreichen vertanen Möglichkeiten der letzten Monate und Jahre nicht mehr hören kann, dann ist es dieser. Natürlich können die Spieler mit dem Brustring in den anstehenden Entscheidungsspielen aus eigener Kraft den Abstieg abwenden. Doch das Versagen in Drucksituationen ist inzwischen so zur Gewohnheit geworden, dass man diesen Makel nicht mehr mit ermutigenden Worten wegwischen kann. Auch gegen Hoffenheim wirkt das Team um Kapitän Endo gehemmt.  

Jedes kleine Kind wusste vor dem letzten Spieltag, dass nur ein Sieg den sicheren Klassenerhalt bedeutet. Nur die Protagonisten auf dem Rasen des ausverkauften Neckarstadions dachten offensichtlich, dass es zunächst reichen würde, das Spiel zu kontrollieren. Führich und Silas wechseln zwar immer wieder die Seiten, an ihrer Ineffizienz ändert das freilich nichts. Vagnoman (11., 18.) und Guirassy (40.) vergeben die einzigen Torgelegenheiten der ersten Hälfte.

Bebou trifft vor der Cannstatter Kurve zum 0:1. (Quelle: tsg-hoffenheim.de)

Mit zunehmender Spieldauer werden die Zuschauer ungeduldig. Sie würden doch nicht wieder bis in die Nachspielzeit auf den erlösenden Treffer warten müssen? Glücksmomente wie am 34. Spieltag der vergangenen Saison lassen sich allerdings nicht beliebig reproduzieren. Vor allem nicht, wenn der Konkurrent aus Bochum klar führt und der eigenen Mannschaft jede Idee fehlt, wie sie den Fünferriegel um den Hünen Anthony Brooks knacken kann. Die Gäste aus Sinsheim zeigen selbst kein gesteigertes Interesse, nach vorne zu spielen, bis Ito seinen Gegenspieler Bebou aus den Augen verliert (75.). Plötzlich ist das Scheitern ganz nah.

Verdiente Strafe

Es gab in Cannstatt wohl selten eine Mannschaft, die mit solchen Sympathien und so viel Nachsicht bedacht wurde. Daran hat Sven Mislintat seinen Anteil, der nicht müde wurde, seine tollen Jungs wie eine Löwenmama zu verteidigen. Nach vier Jahren ist es an der Zeit, das Wunschdenken hinter sich zu lassen. Vier Tage vor der Relegation ist nicht der richtige Zeitpunkt, um die Defizite des Kaders zu referieren, aber so mancher als Unterschiedsspieler eingeplante Profi kann die Erwartungen einfach nicht erfüllen, Talente stagnieren an der Schwelle zum Bundesliganiveau.  

Nach 34 Spieltagen stehen gerade einmal 7 Siege zu Buche, gegen die Absteiger aus Berlin und Gelsenkirchen holte man 4 von 12 möglichen Punkten. Konkurrenten wie Bochum und Augsburg retten sich, weil sie öfter siegten – sogar gegen scheinbar übermächtige Gegner wie Bayern, Leipzig, Leverkusen oder Union – und häufiger zu Null spielten (BOC 5x, FCA 6x). Der VfB konnte gegen keine einzige Mannschaft aus den Top 8 gewinnen und blieb nur zwei Mal ohne Gegentreffer (0:0 und 3:0 gegen Köln).

Die Platzierungen im Saisonverlauf machen deutlich, dass der Relegationsplatz kein Produkt des Zufalls ist. An 13 Spieltagen lagen die Schwaben auf eben jenem 16. Rang, seit dem 6. Spieltag kamen sie nicht mehr über Platz 14 hinaus. Die Enttäuschung der Spieler nach Abpfiff zeigt, dass der eigene Anspruch trotz aller öffentlich kommunizierten Zielsetzungen ein völlig anderer ist. Sosa, Mavropanos und Ito wollen künftig für europäische Spitzenvereine verteidigen, Endo und Guirassy spüren die Verlockung der Premier-League. Zunächst müssen die fünf Nationalspieler aber in der Relegation nachsitzen.

Schließt sich der Kreis?

Huckepack, Schubkarre und Arschbolzen: Tim Walter sorgte im Sommer 2019 für frischen Wind an der Mercedesstraße. Nur ein halbes Jahr später war für den selbstbewussten Trainer schon wieder Schluss. Jetzt könnte es zum Wiedersehen in der Relegation kommen. Der HSV will nach fünf harten Jahren endlich der Zweitklassigkeit entkommen, während der VfB alles dafür tun will, ein Desaster wie vor vier Jahren zu verhindern.

Zu viele Gegentore und Ideenlosigkeit im Angriffsdrittel waren im Herbst 2019 Walters größte Probleme in Stuttgart. An dieser Diagnose hat sich trotz aller Personalrochaden bis heute wenig geändert. Das Duell der Bundesliga-Dinos hätte aber auch aus einem anderen Grund viel Brisanz: Wataru Endo saß unter dem aktuellen HSV-Coach meistens nur auf der Bank. Heute heißt er Legendo und würde seinem Ex-Trainer sicher gerne zeigen, wie groß er in Wahrheit ist.

VfB Stuttgart – TSG Hoffenheim 1:1

Mein erstes Spiel im Stadion: 1980 VfB – HSV 3:2 (Tore: Müller, Kelsch, Allgöwer) Mein schönstes Stadionerlebnis: 1991 VfB – BVB 7:0 (Allgöwer 2, Sverrisson 3, Walter 2) Meine erste Auswärtsfahrt: 1991 BVB – VfB 0:0 Emotionalster Erfolg: 1992 Deutscher Meister, letzter Spieltag B04 – VfB 1:2 (Tore: Walter, Buchwald) Lieblingsspieler: Helmut Roleder, Asgeir Sigurvinsson

Eine Antwort schreiben

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.