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Millot bucht das Halbfinale

Böse Zungen behaupten, die A6 sei nur dafür konzipiert, die Anreise der VfB-Fans nach Nürnberg zu erschweren. Andere vermuten, der Anpfiff des Viertelfinales im DFB-Pokal sei auf Antrag des VfB um eine halbe Stunde verschoben worden, um dem neuen Coach noch etwas mehr Zeit für die Spielvorbereitung zu geben. Wer konnte denn auch ahnen, dass man nach der Länderspielpause gezwungen sein würde, schon wieder den Trainer zu wechseln?

Im Rückblick hätte eine Stauparty auf der A6 wahrscheinlich einen höheren Unterhaltungswert gehabt, als das Pokalspiel im Max-Morlock-Stadion. Das mäßige Zweitliganiveau auf beiden Seiten wird nur durch die Leuchtfackeln aus dem Stuttgarter Auswärtsblock aufgehellt. Der Stadionsprecher avanciert zum Protagonisten des Abends, indem er die VfB-Fans unermüdlich dazu aufruft, sich an die Regeln eines fairen Wettkampfs zu halten. Apropos Wettkampf: Der einst große FCN ist dabei, in den Untiefen der zweiten Liga auf Grund zu laufen, während die Gäste nicht ganz zu Unrecht das Ende der Bundesligatabelle zieren. Dementsprechend unbeholfen sehen die Bemühungen beider Mannschaften dann auch aus.    

Lichtblick in einem niveauarmen Spiel: die Gästekurve. (eigenes Foto)

Mythos Trainereffekt

„Neue Besen kehren gut“, heißt eine der abgedroschensten Fußballweisheiten, die immer dann ausgesprochen wird, wenn eine Mannschaft so schlecht spielt, dass irgendwann der Trainer fliegt. Beim VfB lebt man diesen Spruch seit inzwischen fast zwei Jahrzehnten mit einer erstaunlichen Lernresistenz. Nach Matarazzo, Wimmer und Labbadia soll jetzt also Sebastian Hoeneß an der Mercedesstraße ausfegen. Der neue Mann an der Seitenlinie kehrt dabei zur Dreierkette mit zwei offensiv ausgerichteten Schienenspielern zurück. Die Begründung: Er wolle „so viele Spieler wie möglich auf ihre vermeintlich besten Positionen stellen“.

Aber halt mal: Hatte das nicht auch sein Vorgänger im Sinn? Also das spielen, was die Mannschaft kann? Bekanntlich blieben es leere Worte, unter anderem weil die Mannschaft ihre Qualitäten mitunter ziemlich gut verbergen kann. Am Mittwochabend zeigen jedenfalls einige Akteure, dass ihnen auch mit einem neuen Besen nicht beizukommen ist. Chris Führich dreht wie gewohnt orientierungslos seine Pirouetten, während Luca Pfeiffer die Kugel bei seiner einzigen torgefährichen Aktion aus kurzer Distanz auf die Tribüne drischt. Und in Nürnberg liegt zwischen dem Spielfeld und den Zuschauerrängen bekanntlich noch eine Laufbahn.

Enzo Millot mt dem goldenen Tor und einer Botschaft an seine Kritiker. (Foto: Daniel Löb/dpa)

Immerhin erlöst der neue Besen Waldemar Anton von seinem Alptraum an der rechten Seitenlinie und wechselt nach einer guten Stunde Serhou Guirassy ein, der auf Anhieb zeigt, was man von einem Bundesligastürmer erwarten darf. Der erlösende Siegtreffer fällt dann nach einem Vorstoß von Verteidiger Ito, der den eingewechselten Enzo Millot mustergültig bedient. Der junge Franzose behält mit seinem schwächeren rechten Fuß die Nerven und versetzt die Gästefans in der Südkurve in Ekstase. Trainer hin oder her, dieser Sieg tut der Mannschaft vor dem Schicksalsspiel in Bochum extrem gut.  

Der farblose Herr Wohlgemuth

In punkto Personalverschleiß ist der VfB Spitze, aber ist er es auch bei der Personalauswahl? Als im Dezember der Vertrag mit Sven Mislintat nicht verlängert wurde, zauberten die Verantwortlichen Fabian Wohlgemuth aus dem Hut. Profil: solide und garantiert nicht aufmüpfig. Von Führungskräften, die gemäß Vertrag Entscheidungen des Vorstands per Veto verhindern können, davon hatte man die Nase voll. Womöglich so voll, dass der neue Sportdirektor dazu angehalten ist, nur Belangloses von sich zu geben und auf keinen Fall seinem Vorgesetzten und dessen Beratern zu widersprechen.

Wohlgemuth versicherte der Öffentlichkeit im Dezember jedenfalls pflichtschuldig, er habe selbstverständlich bei der Auswahl von Labbadia mitgesprochen. Vier Monate später betont er mit seinem Sportvorstand im Chor, wie schwer es ihnen gefallen sei, sich von Bruno zu trennen. Das unglückliche Timing beim neuerlichen Trainerwechsel erklärt er in der Pressekonferenz am Dienstag genauso linkisch, wie er seit seinem ersten Tag in Bad Cannstatt auftritt: „Erst einmal sind wir der Meinung, dass wir mit einer inkonstanten Personalpolitik nicht weiterkommen und deswegen haben wir von Spiel zu Spiel die Lage neu bewertet und erörtert, dass wir uns gemeinsam die Chance geben. Wir haben auf eine Trendumkehr gehofft.“

Mit einer inkonstanten Personalpolitik kommt man also nicht weiter, Herr Wohlgemuth? Zumindest galt das vor der Länderspielpause und nach dem desolaten Auftritt gegen Wolfsburg. Aber zwei Wochen später ist die inkonstante Personalpolitik plötzlich alternativlos? Ihr habt euch also gemeinsam noch einmal die Chance gegeben. Was heißt denn hier gemeinsam? Fest steht, dass alle gemeinsam in den letzten vier Monaten ein ziemlich erbärmliches Bild abgegeben haben. Und dass sich der farblose Herr Wohlgemuth da nicht herausnehmen kann. Obwohl es von außen den Eindruck macht, als habe der VfB einen Sportdirektor, der ungewöhnlich viel entscheiden durfte, eingetauscht gegen einen, der so gut wie nichts entscheiden darf.

Fest überzeugt

Vorstands- und Sportchef Alexander Wehrle kommentiert den erneuten Trainerwechsel mit einer Salve an Plattitüden: „Wir sind fest davon überzeugt, dass er mit seiner Erfahrung der Richtige ist. Er kennt den VfB, die Stadt Stuttgart, die Region und die DNA des Vereins.“ Fest überzeugt also, Herr Wehrle. Genauso fest wie von Bruno Labbadia im Dezember? Der wichtigste Entscheider im roten Clubhaus wirkt wie ein Siebtklässler, der jede Woche für ein anderes Mädchen aus der Klasse schwärmt. Jedes Mal total verliebt und immer wieder die gleichen hohlen Sprüche.

Immerhin scheint der 48-jährige Bietigheimer zu wissen, dass nach Saisonende unangenehme Gespräche auf ihn warten. Ob er selbst dann noch die Gelegenheit bekommt, das Desaster auf allen Ebenen aufzuarbeiten? Wenn der Aufsichtsrat mit dem Vorsitzenden Claus Vogt seine Kontrollfunktion ernst nimmt, wird nicht zuletzt die Performance des Vorstandsvorsitzenden Gegenstand der Saisonanalyse sein. Im Frühjahr 2022 war das Gremium ja angeblich fest von Alexander Wehrle überzeugt. Bis jetzt hat dieser aber nicht geliefert. Vor allem nicht das, was er selbst gerne in den Vordergrund stellt: Ergebnisse. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass der VfB mit im Topf sein wird, wenn am Sonntag die Paarungen für das DFB-Pokal-Halbfinale ausgelost werden. Die Losfee? Niemand anderes als sein Vorgänger Thomas Hitzlsperger.

Zum Weiterlesen:

Parallelwelt Pokal – Rund um den Brustring

Kommentar zur Situation beim VfB Stuttgart: Verein für Baustellen – Sport – SZ.de (sueddeutsche.de)

Mein erstes Spiel im Stadion: 1980 VfB – HSV 3:2 (Tore: Müller, Kelsch, Allgöwer) Mein schönstes Stadionerlebnis: 1991 VfB – BVB 7:0 (Allgöwer 2, Sverrisson 3, Walter 2) Meine erste Auswärtsfahrt: 1991 BVB – VfB 0:0 Emotionalster Erfolg: 1992 Deutscher Meister, letzter Spieltag B04 – VfB 1:2 (Tore: Walter, Buchwald) Lieblingsspieler: Helmut Roleder, Asgeir Sigurvinsson

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