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48 Stunden bis Nürnberg

Profifußball ist ein verrücktes Geschäft: Durchschnittlich versierte Akteure bewegen Millionensummen und verderben zehntausenden Fans regelmäßig die Wochenenden. Ganz vorne dabei: der Verein für Bewegungsspiele von 1893. Was in den letzten 16 Tagen rund ums das rote Klubhaus passiert ist, klingt wie die Rauschfantasien eines Quartalssäufers.

Nach einem desolaten Heimspiel gegen Wolfsburg darf Trainer Labbadia noch die Länderspielpause und das Auswärtsspiel in Köpenick absitzen, bevor die Klubführung reagiert. Die „Klubführung“ als Chiffre, denn so genau wissen selbst Insider nicht mehr, wer am Neckar eigentlich die Entscheidungen trifft.

Da gab´s noch was zu jubeln: Sebastian Hoeneß einst in der B-Jugend des VfB. (Foto: Baumann)

Trauerspiel beim Sonntagstraining

Wenn man nicht wüsste, wie viel Geld Labbadia für sein viermonatiges Engagement in Bad Cannstatt kassiert, könnte einem der Trainer wirklich leid tun. Am Sonntag steht er stoisch am Rand des Trainingsplatzes, auf dem wie immer nach einem Spieltag die Ersatzspieler kicken, während im Klubhaus nebenan über seine Nachfolge diskutiert wird. Niemand will dem Bundesliga-Urgestein absprechen, dass er seine Aufgabe mit vollem Elan angegangen sei. Niemand will leugnen, dass die Niederlage in Köpenick unglücklich zustande kam. Und trotzdem war seine Mission von Anfang an zum Scheitern verurteilt. Labbadia konnte nichts mit dem Kader anfangen – und der Kader nichts mit Labbadia.

„Wir danken Bruno Labbadia für die geleistete Arbeit. Wir haben Bruno im vergangenen Dezember verpflichtet, weil wir fest davon überzeugt waren, mit ihm eine Trendwende einleiten zu können“, kommentiert Alexander Wehrle den dritten Trainerwechsel der Saison in einer denkbar lieblos hingeschmierten Pressemitteilung. Wer „wir“ ist, sagt er vorsichtshalber nicht. Nur ein paar Zeilen später, lässt sich der verantwortliche Sportvorstand dann mit der folgenden Einschätzung zum neuen Trainer zitieren: „Wir sind sicher, dass Sebastian (Hoeneß) der richtige Trainer für die anstehenden Herausforderungen ist, und er gemeinsam mit der Mannschaft diese schwierige Situation meistern wird.“ Ob er sich selbst in diesem Moment wenigstens ein bisschen peinlich ist? 

Highlight DFB-Pokal

48 Stunden hat der neue Cheftrainer jetzt Zeit, um die Mannschaft auf das Spiel in Nürnberg vorzubereiten. Wenn man bedenkt, dass der letzte VfB-Titel der Heldencup beim Vorbereitungsturnier in Kufstein war, ist ein DFB-Pokal-Viertelfinale eine große Sache. Aus sportlicher Sicht das größte Highlight seit 2016, als Toni Sunjic und Schorsch Niedermeier in der Runde der letzten Acht die Innenverteidigung gegen Borussia Dortmund bildeten. Dass die Verantwortlichen erst am Montagabend auf die Talfahrt der vergangenen Wochen reagierten, spricht für ihre Ignoranz.

Sebastian Hoeneß kommt nun die Aufgabe zu, das Team in nur einer Trainingseinheit auf dieses große Spiel einzustimmen. Wahrscheinlich wird er Waldemar Anton von seinem Alptraum auf der rechten Abwehrseite erlösen und wieder ins Zentrum einer Dreierkette ziehen. Silas darf hoffentlich wieder als rechter Wingback ran und Guirassy könnte zumindest als Einwechselspieler ein Faktor werden. Denn sind wir mal ehrlich: Der 1. FC Nürnberg hat in letzter Zeit auch nicht gerade Angst und Schrecken verbreitet. Im Duell gegen die Franken könnte schon ein Geistesblitz ausreichen, um die Ernte ins Trockene zu bringen. In den letzten 10 Zweitligapartien erzielte die Mannschaft von Dieter Hecking gerade einmal 8 Tore.

Nichts zu verlieren

Insofern liegt in diesem so dilettantisch vollzogenen Trainerwechsel sogar eine kleine Chance. Zieht der VfB am Mittwoch ins Pokal-Halbfinale ein, fährt man mit leichtem Rückenwind zum Schicksalsspiel an die Castroper Straße. Da muss die Mannschaft dann zeigen, dass sie besser ist als ihr Tabellenplatz, dass die mutlose Attitüde des Ex-Trainers ihr Hemmschuh war. Sebastian Hoeneß hat bei der ganzen Geschichte wenig zu verlieren. Im Falle eines Abstiegs wird ihm sicher keine Schuld in die Schuhe geschoben. Dann nämlich dürften die Tage von Vorstandschef Alexander Wehrle am Neckar gezählt sein.

Zum Weiterlesen:

Labbadias Scheitern ist Wehrles Scheitern – Vertikalpass

Kommentar zur Entlassung von Labbadia: Die allerletzte Patrone der VfB-Bosse – News über den VfB Stuttgart – Zeitungsverlag Waiblingen (zvw.de)

Aus für Bruno Labbadia: Es passt beim VfB Stuttgart hinten und vorne nicht mehr (stuttgarter-nachrichten.de) (Paywall)

Mein erstes Spiel im Stadion: 1980 VfB – HSV 3:2 (Tore: Müller, Kelsch, Allgöwer) Mein schönstes Stadionerlebnis: 1991 VfB – BVB 7:0 (Allgöwer 2, Sverrisson 3, Walter 2) Meine erste Auswärtsfahrt: 1991 BVB – VfB 0:0 Emotionalster Erfolg: 1992 Deutscher Meister, letzter Spieltag B04 – VfB 1:2 (Tore: Walter, Buchwald) Lieblingsspieler: Helmut Roleder, Asgeir Sigurvinsson

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