Fleiß und Mut
Es gibt Gastmannnschaften, die beim VfB eher ungern gesehen sind. Die Werkself aus dem Rheinland gehört ganz sicher dazu. Erst kriegst du das Stadion nicht voll, dann pöbeln die Möchtegern-Sternchen mit dem Bayer-Kreuz deine Spieler an und am Ende fährst du meistens eine verdiente Niederlage ein. Von den letzten zehn Heimspielen konnte das Team mit dem Brustring kein einziges gewinnen, sieben Mal ging man ganz leer aus.
Einen solchen Nachmittag zum Vergessen erlebt auch Matarazzos Mannschaft, nachdem sie in der vergangenen Saison dank eines überragenden Gregor Kobel ein 1:1 über die Zeit retten konnte. Wenn man den Saisonstart 2021 mit der aktuellen Situation vergleicht, wird deutlich, dass ein schwieriges zweites Jahr bevorsteht.
Kurzes Aufflackern
Die sportliche Leitung des VfB erzählt gerne von Mut, wenn sie ihren Weg beschreibt. Mutige Entscheidungen in der Führung sollen dazu führen, dass sich diese Idee des modernen Fußballs auf den Trainerbänken und letztlich auch auf dem Platz durchsetzt. Im TV-Interview vor dem Spiel nennt Pellegrino Matarazzo zwei Eigenschaften, die im Leben immer belohnt würden: Fleiß und Mut.
Offensichtlich ist es ihm zuletzt aber nicht mehr gelungen, diese Einstellung auch seinen Spielern zu vermitteln. Die Anfangsphase gegen Leverkusen ist einmal mehr an Schläfrigkeit nicht zu überbieten. Nach einer halben Stunde scheint sich das Spiel mit dem Platzverweis gegen Andrich zu drehen, doch kurz nach der Pause erlischt das Aufflackern des Stuttgarter Siegeswillen schon wieder. Wir fühlen uns an die zähe zweite Halbzeit vor drei Wochen gegen Freiburg erinnert.
Ohne Gnade
Wenn du schon nach einer Minute in Rückstand gerätst, fällt es natürlich schwer, mutig zu spielen. Endo verliert im Spielaufbau von drei Gegnern umringt die Übersicht, seine Mitspieler gehen nicht energisch genug in die Zweikämpfe, bevor Borna Sosa am Ende der Fehlerkette Robert Andrich sträflich frei zum Kopfball kommen lässt. Zum wiederholten Mal in der noch jungen Saison verliert die junge Mannschaft in der Folge völlig ihre Linie.
Als der Torschütze des Leverkusener Führungstreffers nach einer halben Stunde mit gestrecktem Bein Coulibalys Knie anvisiert, ist der VfB mit dem 0:2-Zwischenstand noch gut bedient. Einen solchen Horrorstart in eine Bundesligapartie sollten sich die Matarazzo-Schützlinge nicht mehr allzu oft leisten. Eine gute Bundesligamannschaft – und dazu gehört der Gegner von Sonntag zweifellos – verzeiht derartige Aussetzer nicht. Der mit seinen 18 Jahren bereits erstaunlich abgezockte Florian Wirtz bestätigt diese Einschätzung nach einem leichtfertigen Stuttgarter Ballverlust mit einem präzisen Abschluss zum 1:3-Endergebnis.
Eine Wette auf die Zukunft
Bei der Analyse der dritten Saisonniederlage wird neben dem verschlafenen Start und fehlendem Mut auch die Wirksamkeit des in der vergangenen Spielzeit noch so erfolgreichen Systems Matarazzo zur Diskussion stehen. Mit hohem Pressing ist der VfB derzeit viel zu leicht aus dem Konzept zu bringen. Die Wingbacks kommen nicht mehr so gut ins Spiel und im Angriffszentrum fehlt ein geeigneter Zielspieler.
So rasant, wie sich zuvor Silas, Sosa und Kalajdzic ins Rampenlicht geschossen haben, verläuft die Entwicklung bei Massimo, Klimovicz und Coulibaly nicht. Auch von Beyaz, Millot und Nartey – um nur drei Beispiele zu nennen – dürfen wir keine Wunderdinge erwarten. Der Stall an der Mercedesstraße steht voller vielverprechender Talente. Im bevorstehenden stürmischen Herbst können die meisten von ihnen jedoch noch keinen entscheidenden Beitrag bei der Punktejagd leisten.
Das kleine Ein-mal-Eins
In den kommenden Wochen stehen die Jungs aus Cannstatt nach dem mäßigen Saisonstart schon ein bisschen unter Druck. Aber Bochum und Hoffenheim sind nicht unschlagbar, wenn die Mannschaft es schafft, einige fußballerische Grundlagen wieder auf den Platz zu bringen. Dazu gehören zum Beispiel volle Konzentration ab der ersten Minute, besseres Lösen aus Pressingsituationen und klarere Abläufe im Offensivspiel.
Der ständige Verweis auf die lange Verletztenliste birgt die Gefahr, dass die Mannschaft selbst irgendwann glaubt, dass man nur auf die Shooting-Stars der letzten Saison warten müsste. Doch niemand weiß, wann und in welcher Verfassung sie zurückkehren werden. Da sollten sie sich lieber auf Fleiß und Mut verlassen, die der Trainer am DAZN-Mikrofon als Erfolgsfaktoren hervorgehoben hat.
VfB –Bayer 04 Leverkusen 1:3
Zum Weiterlesen:
Trotz allem zu wenig – Rund um den Brustring
reybucanero74
Mein erstes Spiel im Stadion: 1980 VfB – HSV 3:2 (Tore: Müller, Kelsch, Allgöwer) Mein schönstes Stadionerlebnis: 1991 VfB – BVB 7:0 (Allgöwer 2, Sverrisson 3, Walter 2) Meine erste Auswärtsfahrt: 1991 BVB – VfB 0:0 Emotionalster Erfolg: 1992 Deutscher Meister, letzter Spieltag B04 – VfB 1:2 (Tore: Walter, Buchwald) Lieblingsspieler: Helmut Roleder, Asgeir Sigurvinsson