Fasching statt Karneval
Fliegende Wechsel kannte man beim VfB bisher eher von der Trainerbank. Doch dieses Mal soll der neue Besen im Chefbüro der Geschäftsführung kehren. Bei aller Harmonie und Zuversicht, die der Präsident und der neue Vorstandsvorsitzende auf dem Podium verströmen, kann niemand übersehen, dass mitten in der entscheidenden Saisonphase nicht der beste Zeitpunkt für einen Neuanfang ist.
Alexander Wehrle lässt aber keinen Zweifel daran, dass ab sofort ein absoluter Profi die Zügel an der Mercedesstraße in der Hand hält. Voller Tatendrang stellt er die wichtigsten Handlungsfelder vor, die er in den kommenden vier Jahren beackern will.
Verkrampfter Abgang
Weder der Blumenstrauß noch die Abschiedsworte von Thomas Hitzlsperger werden in Erinnerung bleiben. Sein Abgang wirkt ein bisschen gehetzt und künstlich. Niemand kann ihm seinen Volleykracher im Meisterschaftsfinale 2007 nehmen, seinen Mut und seine Fähigkeit, Menschen mitzunehmen und zu überzeugen.
Doch all das rückte mit der Zeit in den Hintergrund. Die Bewunderung seitens der Fans, die bisweilen in Verklärung ausartete, ist längst getrübt. Wo beginnt die Authentizität und wo endet die Selbstvermarktung? Als Spieler war er „the hammer“, als Funktionär bleibt er uns ein Rätsel.
Im Herbst 2019 konnte es den Herren Gaiser und Porth nicht schnell genug gehen, noch vor der Wahl eines neuen Präsidenten erstmals den Posten des Vorstandsvorsitzenden zu besetzen. Zweieinhalb Jahre später hat es der Auserwählte ziemlich eilig, das erste Kapitel seiner Funktionärskarriere zu beenden. Er habe viel gelernt, lässt Hitzlsperger wissen – und da möchte wirklich niemand widersprechen.
Der Neue weiß, was er will
Sein Nachfolger zeigt auf der ersten Pressekonferenz gleich, dass es ihm nicht an Selbstbewusstsein mangelt. Er brauche keine Zeit zur Einarbeitung. Er wisse, was zu tun sei, werde aber nicht gleich alle Ideen am dritten Tag verraten. Und: Er wünsche sich mehr Selbstvertrauen bei einem Klub mit den Voraussetzungen des VfB.
Gleichzeitig lässt er einen gewissen Respekt vor der Aufgabe erkennen, wenn er die 80 Mio. Umsatzrückgang als „Brett“ bezeichnet und einräumt, dass man in den kommenden Wochen alles dem Klassenerhalt unterordnen müsse.
Wehrles Selbstverständnis und die prekäre Situation im Tabellenkeller wollen an dieser Stelle nicht so richtig zusammenpassen. Was bringt eine topmoderne „Arena 24“, wenn wir künftig Zweitligamannschaften dort empfangen? Wie will man die Marke in Stadt und Region noch tiefer verankern, wenn die sportlichen Darbietungen niemanden hinter dem Ofen hervorlocken? Hinter all den großen Worten steht ein Vorbehalt. Die kommenden sieben Wochen sind für die nähere Zukunft des Klubs entscheidend.
Es gibt nur einen VfB
Die Erleichterung ist Claus Vogt deutlich anzumerken, als er den neuen Chef der VfB AG präsentiert. So harmonisch konnte er sich die Bälle mit dem Vorgänger nicht immer zuspielen. Nur lobende Worte findet der Präsident und Aufsichtsratsvorsitzende für den Mann neben ihm auf dem Podium: Wehrle kenne den VfB und das Fußballgeschäft, verfüge über beste Kontakte zu den Verbänden. Auch der Auswahlprozess wird unisono gepriesen, an dessen Ende nun laut Vogt die perfekte Lösung stünde.
Alexander Wehrle hat sich seinerseits gut auf seinen Amtsantritt vorbereitet. Er betont mehrfach: „eV und AG, AG und eV … das sind nicht meine Diskussionen (…) Für mich gibt es nur einen VfB.“ Er scheint genau zu wissen, dass in der inneren Versöhnung des Klubs eine seiner größten Herausforderungen liegt.
Die Aufarbeitung des Datenskandals hat das bereits zuvor bestehende Misstrauen zwischen dem Vorstand der AG und Teilen der Vereinsorgane dramatisch verschärft. Bis heute wird aus dem Umfeld immer wieder Zweitracht gesät.
Auf dieses Geplänkel lässt sich der neue Vorstandschef gar nicht erst ein. Der Umbau des Stadions, die Modernisierung der Infrastruktur auf dem Trainingsgelände und die Förderung des Mädchen- und Frauenfußballs sind Themen, die auch auf seiner Agenda stehen. Und auf Nachfrage stellt Wehrle klar, dass bei der Suche nach weiteren Investoren, die AG „logischerweise im Lead“ sei.
Macht euch mal keine Sorgen
Die Fraktion in und um den VfB, die seit Langem versucht, den Untergang des Clubs an die Wand zu malen, verstummt plötzlich. Das holprig kommunizierte Auswahlverfahren zur Hitzlsperger-Nachfolger, die Posse um die Nachfolge im Ressort Sport, der drohende Ausstieg der Mercedes-Benz Group, all die krampfhaft inszenierten Themen verschwinden wie eine Fata Morgana, sobald man näher hinsieht.
Wehrle betont, wie stolz man auf die Zusammenarbeit mit dem Ankerinvestor sei und will die Kooperation sogar noch intensivieren. Beim Thema Nachhaltigkeit könne man eine Menge vom großen Nachbarn lernen. Von einem drohenden Ausstieg als Anteilseigner ist auch in einer Stellungnahme des Marketingvorstands Kasper nichts zu lesen. Statt der selbstherrlichen One-Man-Show der Vergangenheit strebt man in Zukunft offensichtlich eine echte strategische Partnerschaft an.
Auch die Sorge, dass Mislintat und Matarazzo durch die Veränderungen im Vorstand verprellt werden könnten, nimmt Alexander Wehrle den versammelten Journalisten mit einem Lächeln. Er habe bereits „sehr gute Gespräche“ mit diesen beiden „Schlüsselpersonen“ geführt. Das Thema habe für ihn oberste Priorität. Nach Saisonende werde er mit den Verantwortlichen gemeinsam entscheiden, welche Konstellation im Bereich Sport für den VfB am erfolgsversprechendsten sei.
Volle Konzentration auf den Klassenerhalt
Nur eine Sorge liegt auch nach der Antrittspressekonferenz weiter in der Luft. Wenn das Saisonziel nämlich nicht erreicht wird, könnte sich so manches Projekt als Luftschloss erweisen. Auch die öffentliche Bewertung der Arbeit des Vorgängers dürfte dann im Nachhinein weniger wohlwollend ausfallen. Beim Blick auf die Tabelle kann die Devise daher für alle nur lauten: volle Konzentration auf den Klassenerhalt!
Wehrle kennt von seinem vorherigen Arbeitgeber nicht nur die Ansprüche eines emotionalen Umfelds, sondern auch die zweite Liga. Vergleichen möchte er den Effzeh aber nicht mit dem VfB. Dort gebe es schließlich den Karneval und hier feiere man Fasching eine Nummer kleiner. Naja, wenn sonst nichts ist.
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reybucanero74
Mein erstes Spiel im Stadion: 1980 VfB – HSV 3:2 (Tore: Müller, Kelsch, Allgöwer) Mein schönstes Stadionerlebnis: 1991 VfB – BVB 7:0 (Allgöwer 2, Sverrisson 3, Walter 2) Meine erste Auswärtsfahrt: 1991 BVB – VfB 0:0 Emotionalster Erfolg: 1992 Deutscher Meister, letzter Spieltag B04 – VfB 1:2 (Tore: Walter, Buchwald) Lieblingsspieler: Helmut Roleder, Asgeir Sigurvinsson