Ein Sommertag im Herbst
Es hätte so schön sein können. Das Wetter war wie im Mai. Strahlender Sonnenschein und 24 Grad – und das im Oktober. Vor dem Spiel erinnerte vieles an ein gewisses 4:1 gegen Würzburg. Oder in München. Das Wetter war ähnlich gut, die Stimmung war ausgelassen und ich war voller Vorfreude. Auch, weil ich wusste, dass ich in Zukunft eine längere Anreise zu Heimspielen in Kauf nehmen werden müsse, da ein Umzug ansteht.
Das Spiel hielt allerdings nur wenig von dem, was es versprach. Der VfB agierte etwas überraschend in einer Art 4-3-3. Massimo und Ascacibar spielten von Anfang an und Wamangituka und Gonzalez sollten vorne für die zuletzt fehlende Durchschlagskraft sorgen. Der Anfang war auch nicht schlecht. Der VfB überzeugte mit viel Ballbesitz und dem Willen, das erste Tor zu erzielen. Doch schon bald wich dieser Wille – auf den Rängen und auf dem Platz – und Lethargie machte sich breit. Fans und Spieler wirkten erschöpft. Das ist verständlich, wenn man bedenkt, dass eine Länderspielpause hinter uns liegt. Die kostet immer Kraft – und vor allem Nerven. Ironie aus.
Ernsthaft: Die Stimmung auf den Rängen war unterirdisch. Es wirkte, als wären wir bei einem Freundschaftspiel. Doch es kam noch schlimmer: Wie bei einem Benefizspiel im Sommer, zu dem man geht, um möglichst viele Tore zu sehen, aber nach 30 Minuten eher holprigen und wenig zielführenden Fußball zu sehen bekommt, wurde es manchen Fans wohl zu bunt. Sie begannen zu pfeifen. Ich habe eine Nachricht an euch: Bleibt doch einfach zu Hause. Das spart euch Geld und Nerven und den echten Fans erspart ihr damit jede Menge Ärger. Eure Pfiffe verunsicherten die Mannschaft, führten aber immerhin dazu, dass die Kurve lauter wurde. Damit wäre im Übrigen die Frage nach dem schwierigen Umfeld erneut beantwortet. Ja, der VfB hat ein schwieriges Umfeld. Nein, es ist nicht zuallererst die Kurve.
Dennoch war die Leistung der Kurve sehr überschaubar. Das Tempo der Gesänge passte sich der Spielgeschwindigkeit an. „Nicht so schnell“ wurde zum Running Gag. Wenn es sonst nichts zu Lachen gibt, muss man sich das Spiel ja selbst schön machen. „Der Eckball war einfach zu schnell ausgeführt“, „Du wedelst deinen Schal zu schnell“ oder auch „Wir müssen langsamer hüpfen“ machte einfach mehr Spaß als das, was auf dem Rasen passierte. Dabei war die erste Halbzeit ja noch die gute Halbzeit.
Denn in Halbzeit 2 agierte der VfB spätestens nach der gerechtfertigten gelb-roten Karte gegen Holger Badstuber wie eine Wespe, die zwar den nötigen Willen mitbringt, den Raum durchs Fenster zu verlassen, dabei aber auch so stur wie unvariabel gegen das geschlossene Fenster fliegt anstatt den Weg durch das geöffnete Fenster daneben zu nehmen. Weder die Mannschaft noch Tim Walter hat nach dem 0:1 durch Lee eine Antwort und Kiel ist dem 0:2 mehrfach deutlich näher, als der VfB dem Ausgleich. Auch, weil der ein oder andere (auch eingewechselte) Spieler so auftritt, als hätte er zwei Stunden vorher noch für die Zweite spielen müssen. Ich spreche hier übrigens aus Erfahrung, weiß aber auch, dass es auf keinen der eingesetzten 14 Spieler zutrifft.
Die Tatsache, dass dem VfB gegen tiefstehende Mannschaften offensichtlich nicht viel einfällt, macht nachdenklich und lässt stellenweise die Alarmglocken zurecht schrillen. Dass einige Stammtischtrainer jetzt schon den Kopf von Walter fordern („11 Spiele sind Zeit genug“) löst bei mir komplettes Unverständnis aus. Hat uns die elendige Rochade auf der Trainer- und Sportvorstandposition nicht erst dahin geführt, wo wir uns aktuell befinden? Hat in den letzten Monaten nicht eine größere Entwicklung stattgefunden wie in den letzten 5 Jahren?
Versteht mich nicht falsch, ich bin alles andere als zufrieden mit den letzten Ergebnissen. Genauso wenig denke ich allerdings, dass wir nun in Panik verfallen sollten. Egal wie, wir sind voll im Soll. Die Spiele gegen Hamburg sind richtungsweisend. Aber ich vermisse aktuell einen Plan B. Ich vermisse die Cleverness, den Weg durch das offene Fenster zu gehen, als weiterhin stur gegen die geschlossenen Abwehrreihen der Gegner anzulaufen. Ich finde es schwierig, wenn Walter nach dem Spiel die Ergebnisse damit erklärt, einfach nur die Tore nicht zu machen. Denn das Problem liegt in meinen Augen tiefer. Und so füllt sich dieser Tag im Herbst zwar an wie ein Tag im Mai, aber eben wie ein Tag im Mai 2019, als man in zwei Spielen gegen einen deutlich in seinen Möglichkeiten begrenzteren Gegner große Schwierigkeiten hatte, zu Torchancen zu gelangen und schließlich zurecht den Weg in Liga 2 antreten musste.
Doch es ist nicht Mai, sondern Oktober. Wir befinden uns im Herbst und der VfB hat sowohl gegen den Tabellenletzten aus Wehen-Wiesbaden als auch gegen den Tabellenvorletzten aus Kiel verloren. Wiedergutmachung in Hamburg ist angesagt. Dabei wäre mir ein Sieg im Ligaspiel deutlich wichtiger, als das „Bonusspiel“ im DFB-Pokal.
Ach übrigens: Das nächste Heimspiel ist gegen Dresden. Dort verlor man vor drei Jahren 0:5 und spielte in der Rückrunde damals 3:3. Aktuelle Tabellensituation: Dresden ist Vorletzter…