Allgemein

Ein goldener Punkt

Mit Absonderung hätte ich noch vor ein paar Tagen den Austritt irgendeiner ekligen Körperflüssigkeit verbunden, doch dank der Recherche des Vertikalpass weiß ich es jetzt besser. Das VfB-Blog, „wo man kaum beschreiben kann“, schlägt der Presse ein Schnippchen und führt uns als erste in die komplizierte Quarantäne-Arithmetik ein.

Für einen positiv auf das Coronavirus Getesteten gibt es nämlich eine Hintertür – und damit einen Hoffnungsschimmer für die vielen Fans, die mit jeder Hiobsbotschaft vom Cannstatter Trainingsgelände tiefer in den Sessel rutschten. Und siehe da: Das zuständige Gesundheitsamt erlaubt Ersatzkeeper Fabian Bredlow, sich rechtzeitig aus der Quarantäne freizutesten. Die restlichen Corona-Infizierten dürfen die Reise an den Niederrhein freilich nicht antreten.

Wie der Trainer die Corona-Welle in seinem Kader bewertet, können wir der Spieltags-Pressekonferenz und dem Pre-Match-Interview entnehmen: extrem unnötig und ärgerlich. So deutlich hat Matarazzo seine Spieler noch nie kritisiert. Verständlich, denn einer Muskel- oder Bänderverletztung kann man eben medizinisch kaum vorbeugen, einer Corona-Infektion dagegen schon.   

Ein echtes Auswärtsspiel

Die voll besetzte Nordkurve schiebt die eigene Mannschaft stimmgewaltig an. Jeder Ballgewinn wird frenetisch gefeiert, der Gegner kommt kaum einmal geordnet über die Mittellinie. Nicht dass ich besondere Sympathien für die Borussia aus Mönchengladbach hätte, aber genau so stelle ich mir ein Auswärtsspiel vor.  

Die ganz in Weiß gekleideten Gastgeber legen also los wie die Feuerwehr und schnüren den VfB am eigenen Strafraum ein. Gladbach zeigt sich von Anfang an bissig und druckvoll, ohne dabei die ganz großen Torchancen zu erspielen. Zakaria und Koné beherrschen das Zentrum mit ihrer Präsenz und Dynamik. Trotzdem hätten die Gäste aus Cannstatt den Spielverlauf nach einer guten halben Stunde fast vollständig auf den Kopf gestellt.

Nachdem der unwiderstehliche Dinos Mavropanos  nach einer Viertelstunde einen schulmäßigen Vollspannstoß aus 25 Metern im Gladbacher Tor untergebracht hat, ist es 15 Minuten später Tanguy Coulibaly, der nach einem hohen Ballgewinn plötzlich alleine auf Yann Sommer zuläuft. Sein versuchter Heber von der Strafraumgrenze ist mit kläglich allerdings noch wohlwollend beschrieben.

Vergesst die Statistik

Man muss kein Rekordnationalspieler sein um festzustellen, dass bei den ganz in Rot spielenden Gästen kaum ein Pass den Mitspieler findet. Die beiden Offensivkräfte Marmoush und Führich hängen völlig in der Luft. Andererseits ist es mit der Gladbacher Herrlichkeit am Strafraum vorbei. Der VfB verteidigt kompakt und diszipliniert, und wenn doch mal einer durchkommt, beweist Bredlow, dass ihm die zehntägige Trainingspause nicht geschadet hat.

Spielanalysten werden jetzt wieder einen unterirdischen Expected-Goals-Wert für den VfB präsentieren. 31 Torschüsse habe man für das Team von Adi Hütter gezählt. Auf der Anzeigetafel steht jedoch zweimal die Eins. Ab Mitte der zweiten Hälfte verliert die Heimmannschaft dann mehr Bälle im Aufbau, während das VfB-Mittelfeld um den ewigen Endo, den einsatzfreudigen Karazor und den robusten Nartey besser ins Spiel findet.  

Die größte Chance auf den Siegtreffer macht dann der Scharfschütze aus Athen zunichte, als er sich mit vollem Einsatz in einen Schuss aus kurzer Distanz wirft. Günther Schäfer dürfte sich an der Seitenlinie an Leverkusen 1992 erinnert haben.

Das Coulibaly-Paradox

Während manche VfB-Fans von den atemberaubenden Antritten eines Silas Katompa, den langen Beinen eines Sasa Kalajdzic oder dem Durchbruch der blutjungen Faghir und Beyaz träumen, müssen wir uns in der aktuellen Lage über jeden Punkt freuen. Das Unentschieden in Gladbach ist doppelt wertvoll: Erstens erkämpft sich die Mannschaft den Zähler aufopferungsvoll, zweitens gelingt der Achtungserfolg trotz des Fehlens einiger Stammkräfte.

Als Vertretung von Waldemar Anton präsentiert sich Hiroki Ito im Zentrum der Abwehrkette nach anfänglichem Ausrutscher erstaunlich abgeklärt und selbstbewusst. Nikolas Nartey spult im Mittelfeld Kilometer um Kilometer ab und zeigt sich im Zweikampf durchaus widerstandsfähig. Atakan Karazor kann als tiefer Sechser seine Stärken einbringen und fängt viele Bälle ab, allerdings lassen seine Unkonzentriertheiten den Fans wieder den Atem stocken.

Am besten spiegelt vielleicht Tanguy Coulibaly den Entwicklungsstand der Mannschaft wieder. Einerseits hat er schon dazu gelernt, verhält sich im Defensivzweikampf cleverer und trennt sich auch einmal schnell vom Ball, wenn es die Situation erfordert. Andererseits wirkt er häufig noch wie ein Bolzplatz-Dribbler, der zum ersten Mal auf dem großen Feld spielt. Aus der Torchance in der ersten Halbzeit muss auch ein junger, unerfahrener Spieler wie er deutlich mehr machen.

Training für den Kopf

Nach sechs Coronafälle in zehn Tagen haben sich die VfB-Profis vor dem schweren Auswärtsspiel selbst in eine unangenehme Situation gebracht. Doch der Herbst beginnt erst und die Pandemie ist noch längst nicht vorbei. Die sportliche Führung muss ihre teilweise noch jugendlichen Spitzenverdiener noch einmal sensibilisieren, welche Verantwortung mit ihrem Beruf einhergeht. Zum einen gegenüber ihrem Arbeitgeber, der sie als Hochleistungssportler eingestellt hat, zum anderen gegenüber den Fuballfans und der ganzen Gesellschaft, die selbst dazu beitragen, wieder ein relativ normales Leben führen zu können.

Vielleicht sollte der VfB seine impfunwilligen Spieler zu einem Praktikum auf eine Corona-Station oder in eine Therapiegruppe mit Long-Covid-Patienten schicken. Ein bisschen Training für den Kopf bewirkt manchmal mehr als das beste Workout.

VfL Borussia Mönchengladbach – VfB 1:1

Zum Weiterlesen:

Keiner bringt den VfB um (vertikalpass.de)

FCK CVD – Rund um den Brustring

Mein erstes Spiel im Stadion: 1980 VfB – HSV 3:2 (Tore: Müller, Kelsch, Allgöwer) Mein schönstes Stadionerlebnis: 1991 VfB – BVB 7:0 (Allgöwer 2, Sverrisson 3, Walter 2) Meine erste Auswärtsfahrt: 1991 BVB – VfB 0:0 Emotionalster Erfolg: 1992 Deutscher Meister, letzter Spieltag B04 – VfB 1:2 (Tore: Walter, Buchwald) Lieblingsspieler: Helmut Roleder, Asgeir Sigurvinsson

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