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Der Patient lebt

Das kleine Energiebündel, das an der Seitenlinie Sprünge vollführt wie sein Vorbild vor der tobenden Kop, heißt Nico Willig und ist wie der große Kloppo waschechter Schwabe. Mag sein, dass im Telefonbuch eines gut vernetzten Sportdirektors Namen wie Tayfun Korkut oder Markus Weinzierl weiter oben aufgelistet sind, aber die vom Interimstrainer ausgehende Energie steht in krassem Gegensatz zu der seiner Vorgänger, genauso wie die Spielweise der Mannschaft. „Der Schritt war von der Intensivstation auf die Krankenstation“, ordnet der gebürtige Tübinger den Sieg gegen Gladbach ein.

Wenn man dem Nachwuchstrainer des VfB dabei in die Augen schaut, wird sofort klar, dass dieser Chefarzt eine klare Vorstellung davon hat, wie der Patient gesund werden soll. Der Zittersieg gegen die harmlose Borussia vom Niederrhein zeigt vor allem, wie zerrüttet das Verhältnis der Mannschaft zu Weinzierl am Ende war. Bis vor wenigen Wochen stimmten viele Beobachter noch darin überein, dass der Trainer wenig Schuld am Auftreten dieses „Sauhaufens“ trage. Spätestens seit Samstag wissen wir, dass sie falsch lagen. Willig hat den Spielern innerhalb einer Woche mehr Spielidee und Spirit vermittelt, als es sein Vorgänger in sieben Monaten vermochte.

Andererseits ist über den Charakter dieser zusammengewürfelten Truppe zu reden. Die Energieleistung am Samstag lässt die Erniedrigung von Augsburg noch einmal in anderem Licht erscheinen. Wie kann es sein, dass sich professionelle Sportler in einem Spiel, in dem es für ihren Verein um so viel geht, dermaßen hängen lassen? Die Probleme beim VfB sitzen offensichtlich tiefer, als es die uninspirierten, fußballerisch limitierten Auftritte in dieser Saison auf den ersten Blick ahnen lassen. Der Präsident sowie Teile des Vorstands und des Aufsichtsrats manövrieren sich mit ihren zweifelhaften Dementis in der Causa Quattrex immer tiefer in den Schlamassel. Die Krise an der Mercedesstraße ist mitnichten nur ein sportliches Wellental, wie Herr Dietrich kürzlich vermelden ließ. Vielmehr steht dem Club ein veritabler Sturm ins Haus, der so einiges wegblasen könnte, das vor kurzem noch niet- und nagelfest erschien.  

Widmen wir uns heute aber einmal den zarten Pflänzchen der Hoffnung:

  • Zunächst wäre da der neue Sportvorstand Thomas Hitzlsperger, Dietrichs beste Personalentscheidung seiner bald dreijährigen Amtszeit. Wenn Journalisten ihm ein Mikrofon unter die Nase halten, muss man sich nicht mehr vor Scham verstecken. Er formuliert Ziele und Anforderungen klar, beschönigt nichts und wirkt bescheiden. Gemeinsam mit einem kompetenten Team hat er das Zeug dazu, den Club in eine bessere sportliche Zukunft zu führen.
  • Die ehrliche Freude und Begeisterung von VfB-Urgesteinen wie Teambetreuer Günther Schäfer und Ersatzkeeper Jens Grahl zeigen, dass es noch so etwas wie einen Geist gibt inmitten dieses Haufens verdorbener Egoisten und Wichtigtuer. Die Bilder von der VfB-Bank am Samstagabend sind Balsam auf unsere geschundenen Seelen.
  • Nicht zuletzt hat auch die Mannschaft ein Lebenszeichen gesendet. Wenn auch in Willigs 4-4-2 mit Routine-Route im Mittelfeld längst nicht alles funktionierte, zeigten vor allem die häufig kritisierten Beck, Didavi und Donis, dass sie für die letzten Saisonspiele noch wichtig werden können. Die Entschlossenheit im Angriffspressing und einzelne Spielzüge, die wohl im Training erarbeitet wurden (auch so etwas gibt es, Herr Weinzierl), sind mehr als wir in den vergangenen dreißig Spielen von der Truppe gesehen haben.  

Unter dem Strich müssen wir dem U19-Coach aus Balingen danken, dass er die Mannschaft wiederbelebt hat. In einem Abstiegskampf, der zunehmend unberechenbar wird, und einer möglichen Relegation gegen einen sehr unangenehmen Gegner werden wir noch viel von der Willigschen Energie brauchen. Zusammenhalt und Zuversicht sind wichtig für die Genesung, ohne dabei freilich die schmerzhaften Wunden zu vergessen, die den VfB Stuttgart als Ganzes bis ins Mark erschüttern.

VfB – Borussia Mönchengladbach 1:0

Mein erstes Spiel im Stadion: 1980 VfB – HSV 3:2 (Tore: Müller, Kelsch, Allgöwer) Mein schönstes Stadionerlebnis: 1991 VfB – BVB 7:0 (Allgöwer 2, Sverrisson 3, Walter 2) Meine erste Auswärtsfahrt: 1991 BVB – VfB 0:0 Emotionalster Erfolg: 1992 Deutscher Meister, letzter Spieltag B04 – VfB 1:2 (Tore: Walter, Buchwald) Lieblingsspieler: Helmut Roleder, Asgeir Sigurvinsson

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