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Auf der Suche nach Tiefe

Sebastian Hoeneß ist mit dem Start ins neue Fußballjahr nicht zufrieden. (Foto: tagesschau.de)

Früh hinten liegen, lange erfolglos dem Rückstand hinterherrennen, um schließlich den endgültigen Knockout zu kassieren. Diese Spielverläufe kennen wir aus Zeiten, als Siege eine Seltenheit und dumme Gegentore an der Tagesordnung waren. Jetzt wissen wir: Auch dem Hoeneß-VfB kann das passieren. Nur dass die Folgen mit 34 Punkten als Polster zu verschmerzen sind.

Der Start ins Jahr 2024 zeigt, dass man auch mit überlegener Spielanlage, hoher Spielkontrolle und wesentlich mehr Ballbesitz ein Spiel verlieren kann. Vielleicht kann die Pleite in Mönchengladbach sogar dabei helfen, sich besser auf die neuen Herausforderungen vorzubereiten. Oder anders gesagt: Niemand will gegen den VfB den Ball, nicht einmal der FC Bayern.

Mittelfeld-Auflauf

Über Stenzel und Vagnoman wird schon vor Spielbeginn gesprochen. Ist der Kader offensiv so dünn besetzt, dass ein nomineller Abwehrspieler den Außenstürmer mimen muss? Egal, die Hoffnungen ruhen auf Führich in Topform und vielen Rochaden der Offensivspieler. Doch bevor die sich das erste Mal in Szene setzen, steht es schon 2:0 für die Gastgeber. Zwei Mal Hack. In der Folge tun die Gladbacher – um es vorsichtig zu formulieren – wenig fürs Spiel. Aber auch das Stuttgarter 4-2-4 wird nicht etwa zu einem Angriffswirbel mit vier Spitzen, sondern zu einem schlecht gewürzten Mittelfeld-Auflauf. Nach dem Motto: Geh du kurz, da bin ich auch schon.

Wenn du 70 Minuten Zeit hast, einen Zwei-Tore-Rückstand zu drehen, kannst du es mit Klein-Klein probieren, oder auch mal einen Angriff zielstrebig ausspielen. Schüsse aus der zweiten Reihe? Nicht mit diesen Super-Zockern. Flanken in den Rücken einer Abwehr, die in der Vergangenheit gerade bei hohen Bällen Schwächen zeigte? Für das Kopfballspiel fehlen geeignete Spieler. Der VfB macht es der Borussia leicht, den eigenen Strafraum mit Mann und Maus zu verteidigen.

Dabei kommen die in Weiß gekleideten Hausherren in der zweiten Hälfte phasenweise kaum mehr über die Mittellinie. Hoeneß bringt Rouault, formiert eine Dreierkette und versucht mit Leweling mehr Tiefe ins Angriffsspiel zu bringen. Der Ball läuft wie beim Handball um den Gladbacher Strafraum, doch klare Torchancen springen kaum heraus. Nicht zum ersten Mal zeigt sich: Wenn die Mitte dicht ist, gehen den Schwaben die Ideen aus.

Fehlende Entschlossenheit

Wusstet ihr, dass Robin Hack in Pforzelona geboren ist und bis Sonntagabend erst ein einziges Tor in der Bundesliga geschossen hat? Seine beiden Abschlüsse in der 1. und 19. Minute sehen allerdings aus, als sei er als Torjäger zur Welt gekommen. Mit der Geschwindigkeit der Gladbacher Offensivkräfte hat die VfB-Abwehr zu Beginn Probleme. Stenzel und Mittelstädt verlieren viele Zweikämpfe und müssen folgerichtig zur Pause in der Kabine bleiben.

Im roten Auswärtstrikot überzeugen Abwehrturm und Aufbauspieler Zagadou sowie Ballautomat Stiller. Letzterer könnte problemlos bei Thommy Gottschalk auftreten: Wetten, dass ich von fünf Gegenspielern umringt den Ball verarbeiten und weiterspielen kann? Daxo verteidigt seinerseits brenzlige Situationen mit dem Ruhepuls eines Tour-de-France-Siegers. Und seine vertikalen Pässe im Aufbau kommen meistens an, was man von seinem Nebenmann am Sonntag nicht behaupten kann.

Josha Vagnoman gelingt das einzige Tor für seine Mannschaft. (Pressefoto Baumann, Hansjürgen Britsch)

Die Idee des Trainers, Josha Vagnoman als Rechtsaußen zu bringen, geht nicht auf. Er ist keiner, der sich bis zur Grundlinie durchdribbelt und dann präzise flankt. Der Ex-Hamburger ist aber beidfüßig, wie wir in der 55. Minute bestaunen dürfen: Ballannahme mit rechts, Abschluss mit links, Anschlusstreffer. Diese Entschlossenheit geht den Weiß-Roten in anderen Situationen ab. Als die Kräfte nachlassen, bekommt Nachwuchstalent Raimund eine Chance und schrammt nur knapp am schnellsten Platzverweise der Bundesligageschichte vorbei. Milosevic und Paula bleiben dagegen 90 Minuten auf der Bank, obwohl Hoeneß noch zwei Mal wechseln dürfte – und einige Kollegen aus dem letzten Loch pfeifen.

Ärmel hoch!

Der VfB und seine Fans haben sich beim Tabellenzwölften mehr ausgerechnet – keine Frage. Die Niederlage als Beginn eines möglichen Abschwungs zu beschreien, halte ich trotzdem für übertrieben. Die Glückseligkeit der kurzen Winterpause darf jetzt gerne einem selbstkritischen Ärmel-hoch weichen. Bei den Spielern, die in der Anfangsphase am Niederrhein schläfrig wirken, beim Trainerteam, das Lösungen gegen tiefstehende Mannschaften finden muss, und auch bei der sportlichen Leitung, die sich gerne darum bemühen darf, die eine oder andere Lücke im Kader noch zu füllen.

Kommende Woche beginnt in Bochum die Rückrunde. Die Gegner kennen nun Wege, wie den Überraschungsdritten aus Stuttgart beizukommen ist. Sie werden alles versuchen, um die Schwächen des VfB auszunutzen. Nicht erst seit Tim Walter wissen wir, dass Spielkontrolle nicht alles ist. Mich würde es nicht wundern, wenn wir in der kommenden Trainingswoche öfter die Stimme des Trainers hören würden: Tiefe, Deniz, Tiefe!

Borussia Mönchengladbach – VfB Stuttgart 3:1

Zum Weiterlesen:

Lommelich – Vertikalpass

Das war nix – Rund um den Brustring

Wie Gladbach den VfB geärgert hat – und was die Schwaben daraus lernen sollten – News über den VfB Stuttgart – Zeitungsverlag Waiblingen (zvw.de)

Mein erstes Spiel im Stadion: 1980 VfB – HSV 3:2 (Tore: Müller, Kelsch, Allgöwer) Mein schönstes Stadionerlebnis: 1991 VfB – BVB 7:0 (Allgöwer 2, Sverrisson 3, Walter 2) Meine erste Auswärtsfahrt: 1991 BVB – VfB 0:0 Emotionalster Erfolg: 1992 Deutscher Meister, letzter Spieltag B04 – VfB 1:2 (Tore: Walter, Buchwald) Lieblingsspieler: Helmut Roleder, Asgeir Sigurvinsson

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