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Auf der Suche nach dem neuen VfB

Nach dem Absturz im Sommer sprechen nicht nur die beiden Präsidentschaftskandidaten gerne vom „neuen VfB“, den sie gemeinsam mit Mitgliedern und Fans gestalten wollen. Vieles soll anders und besser werden, aber wie genau? Die folgende kleine Bestandsaufnahme betrachtet die sportliche Situation, den Präsidentschaftswahlkampf und dessen mediale Begleitung auf der Suche nach dem großen Unbekannten.

Dem neuen starken Mann in der VfB AG, Thomas Hitzlsberger, schwebt eine völlig neue sportliche Ausrichtung vor. Der Nachwuchs gehört dabei zu den wichtigsten Eckpfeilern. Erwartungsfroh mache ich mich also am Samstag auf den Weg zum Spiel der U19, um die neue fußballerische Identität des VfB zu ergründen.

In einer eher zähen Begegnung der Junioren-Bundesliga Süd bei den Schanzern aus Ingolstadt, die ihrerseits fast ausschließlich mit langen Bällen operieren, zeigen die Jungs um Kapitän Per Lockl über die gesamte Spielzeit, dass sie den Ball haben und strukturiert nach vorne spielen wollen. In Abwesenheit der Jungstars Lilian Egloff (Profikader) und Jordan Meyer (Kreuzbandriss) gelingt Letzteres leider zu selten, während die Hintermannschaft um die überzeugenden Alexander Kopf und Hamza Cetinkaya die gegnerischen Angriffsversuche gekonnt verteidigt. Auf dem Kunstrasenplatz neben dem Audi Sportpark ist es dann Mitte der zweiten Halbzeit unserer Nummer 10, Davino Knappe, vorbehalten, aus 18 Metern einen strammen Rechtsschuss auszupacken, der das Spiel letztendlich entscheidet. Durch die gleichzeitige 1:2-Niederlage des FSV Mainz gegen die TSG Hoffenheim stehen die VfB-Junioren jetzt punktgleich mit dem neuen Tabellenführer aus Sinsheim auf Platz 2 und zeigen genau das, was man bei den Profis zurzeit oft vermisst: Sie nutzen ihre fußballerische Überlegenheit clever aus und nehmen unspektakulär die drei Punkte mit nach Cannstatt.

Hitzlsbergers zweites Credo heißt Kontinuität. Die neue sportliche Leitung und ihr Trainerteam sollen die notwendige Zeit bekommen, ihre Spielidee mit einem komplett umgekrempelten Kader auf den Platz zu bringen. Beim Auswärtsspiel in Sandhausen wird allerdings deutlich, dass der Entwicklungsprozess holpriger verläuft, als wir uns erhofft haben. In vielerlei Hinsicht erinnert die Niederlage am Hardtwald an die Spiele gegen Wehen, Kiel und Osnabrück. Von Selbstvertrauen aus den Siegen gegen Hamburg, Dresden und Karlsruhe keine Spur. Eher Schlafmützigkeit gepaart mit Ideenlosigkeit – und dann kommt auch noch Pech dazu.

Warum gelingt es dem Trainerteam (noch) nicht, die Mannschaft auf die Anforderungen der zweiten Liga einzustellen? Warum stagnieren die zweifellos entwicklungsfähigen Talente zum großen Teil? Und wie lernfähig sind alle Beteiligten angesichts von Niederlagen im Copy-Paste-Modus? Zum Ende der Hinrunde stehen Mannschaft und Trainer jedenfalls bereits gewaltig unter Erfolgsdruck. Denn bei weiterhin ausbleibender Entwicklung wird es selbst dem beredten Vorstandsvorsitzenden schwerfallen, glaubwürdig für Kontinuität zu werben.

Zwei Wochen vor der außerordentlichen Mitgliederversammlung beim VfB kämpft auch die Stuttgarter Presse um ihre Position als Platzhirsch. In einer Zeitungsmeldung wird auf einen Podcast hingewiesen, in dem sich die beiden Präsidentschaftskandidaten den Hörern vorstellen. Wahnsinn, denke ich, wann wurden Fan-Podcasts schon einmal so exklusiv erwähnt? Aber weit gefehlt: Die Werbung gilt dem verlagseigenen Format, das just am Tag der prominent besuchten Veranstaltung der Fan-Podcasts online geht. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.

Die engagierten Hobby-Podcasterinnen und Podcaster schaffen es bei der VfB-Viererkette mit ihren gut vorbereiteten Fragen herauszustellen, dass sich der Verein in Zukunft gerne deutlicher gegen Diskriminierung und Rassismus positionieren darf, und dass die Spielregeln in der VfB AG für die beiden Kandidaten (noch) genauso unergründlich sind wie für uns Mitglieder und Fans. Unter diesem Vorbehalt müssen wir also alle Aussagen bezüglich möglicher Umstrukturierungen und Neubesetzungen im Aufsichtsrat bewerten.

Riethmüller punktet im Wahlkampf mit Authentizität, Ideen zur Stärkung der Marke VfB und seinem Plädoyer für eine Öffnung des Vereins für neue Abteilungen und Sportarten. Vogt tritt selbstbewusst und professionell auf, betont sein Netzwerk in den Bereichen Sport und Politik und möchte die Rolle der Fans im Verein mit einer eigenen Abteilung stärken.

Die beiden Kandidaten erfahren in den ersten Wochen des Wahlkampfs zum Teil schmerzhaft, was es bedeutet, im Fokus der Öffentlichkeit zu stehen. Während sich Riethmüller mehrfach ungeschickt äußert und zurückrudern muss, hört man von Vogt zum Teil vorbereitete Statements, die zwar nicht angreifbar, aber auch nicht besonders aussagekräftig sind.

Nicht erst seit ein präpotenter Politiker aus unserem schönen Nachbarland eine wichtige Zeitung an eine angebliche Oligarchennichte verkaufen wollte, wissen wir, wie wichtig unabhängige Medien sind. Es gibt aber auch eine unangenehme Seite der omnipräsenten medialen Begleitung, bei der gerne mit scharfer Munition aus der Hüfte geschossen wird.

So wurde vergangene Woche dem Ex-Sportbild-Chefredakteur Pit Gottschalk, der nunmehr als Freischaffender tätig ist, aus unbekannter Quelle eine Information zugespielt: Der Präsidentschaftskandidat Riethmüller habe sich bei einer internen Vorstellung vor einem VfB-Gremium vermeintlich rassistisch geäußert. Im Magazin Focus erscheint daraufhin eine Kolumne mit dem Titel „Rassismus-Eklat oder Missverständnis?“. Die regionale Presse greift das Thema auf, denn der Nachrichtenwert eines „Rassismus-Eklats“ ist in Zeiten, da sich in den Parlamenten politische Vertreter regelmäßig im braunen Dreck suhlen, offensichtlich ziemlich hoch. Mir gegenüber versichert Herr Gottschalk, er habe dem Kandidaten nichts vorgeworfen und die Situation angemessen kommentiert. Wie dem auch sei, das Narrativ ist gesetzt. Der Präsidentschaftswahlkampf beim VfB wird in der Öffentlichkeit plötzlich im Zusammenhang mit Rassismus diskutiert. Ironischerweise fügt der Autor an: „Es ist wie bei Tönnies: Das Internet-Zeitalter lässt kaum Differenzierung zu.“ Nein, Herr Gottschalk, nicht das Internet beschmutzt hier den Namen des Kandidaten und des Vereins, es sind Sie selbst.

Etwas besorgt, aber nicht ohne Hoffnung, begutachte ich das Bild, das der VfB auf der Suche zu seinem neuen Ich abgibt. Einerseits gehören gezielte Leaks gefolgt von unschönen Medienberichten beim VfB offensichtlich noch nicht der Vergangenheit an, andererseits stimmt die lebendige und selbstbewusste Fanszene, die vom Verein inzwischen stärker eingebunden wird, optimistisch. Ob das zarte Pflänzchen der neuen sportlichen DNA trotz der widrigen Witterungsverhältnisse bald zu sprießen beginnt, wage ich an dieser Stelle nicht vorherzusagen.

SV Sandhausen – VfB 2:1

Mein erstes Spiel im Stadion: 1980 VfB – HSV 3:2 (Tore: Müller, Kelsch, Allgöwer) Mein schönstes Stadionerlebnis: 1991 VfB – BVB 7:0 (Allgöwer 2, Sverrisson 3, Walter 2) Meine erste Auswärtsfahrt: 1991 BVB – VfB 0:0 Emotionalster Erfolg: 1992 Deutscher Meister, letzter Spieltag B04 – VfB 1:2 (Tore: Walter, Buchwald) Lieblingsspieler: Helmut Roleder, Asgeir Sigurvinsson

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