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Wie die Löwen

Gleich drei Mal taucht Nübel im Elfmeterschießen ab und rettet den Sieg. (Foto: Julia Rahn)

Sven Köhler, Johan Gomez, Fabio Di Michele Sanchez – einige Namen hat sich wahrscheinlich ganz Fußball-Deutschland nach dem dramatischen Nachholspiel der ersten Runde des DFB-Pokals gemerkt. Der Zweitligist, der erst in der Relegation die Klasse gehalten hat, zwingt den Titelverteidiger zunächst mit beherztem Pressing und spektakulärem Offensivfußball in die Verlängerung und mit dem herrlichen 4:4-Ausgleich durch Christian Conteh schließlich ins Elfmeterschießen. Der zwanzigste Schuss bringt kurz vor Mitternacht schließlich die Entscheidung zugunsten des Favoriten.

Dem Turn- und Sportverein aus Braunschweig, dessen Wappen zu Ehren des mächtigen Heinrich VIII. einen Löwen zeigt, gelingt mit seinem Trainer Heiner Backhaus am Dienstagabend das, was diesen Wettbewerb so attraktiv macht: Hoch motivierte, weithin unbekannte Sportler spielen sich mit einem mutigen Auftritt in die Herzen der Fußballfans. Die undankbare Rolle in dieser Szenerie kommt dem Pokalsieger aus Stuttgart zu, der nach schlechtem Ligastart erneut zahlreiche Schwächen offenbart – und am Ende trotzdem als Sieger vom Platz geht.

Zwei Pflichtspiele – viele Fragen

Auch mit vier Tagen Abstand und der wohlmeinenden öffentlichen Analyse des Trainers ist die Enttäuschung der Fans über die Pleite in Köpenick noch nicht verflogen. Das Pokalspiel in Braunschweig unterstreicht die Fragen, die sich schon nach dem Union-Spiel stellten: Warum tritt eine eingespielte Mannschaft so löchrig und unkoordiniert auf? Wie kann es sein, dass einige der vermeintlichen Leistungsträger nach sechs Wochen Vorbereitung dermaßen außer Form sind? Und weshalb ist von den Entwicklungsansätzen, die das Trainerteam für die neue Saison anstoßen will, so wenig zu sehen?

In Braunschweig wundern sich VfB-Fans und neutrale Beobachter gleichermaßen, dass mancher Nationalspieler im Brustringtrikot so kopflos und uninspiriert über den Platz läuft. Wie Undav in der 8. Minute versucht, die riskante Spieleröffnung seines Torwarts zu verarbeiten, würde selbst im Amateurfußball als lustlos wahrgenommen. In der Folge fasst sich Eintracht-Kapitän Köhler ein Herz und überwindet Nübel mit einem Distanzschuss, den wohl die meisten Kreisligatorhüter gehalten hätten. Zwei Beispiele einer ganzen Reihe von Fehlleistungen, die sich ein ambitionierter Bundesligist auf die Dauer nicht leisten kann.

Spiel-Management

Nach der Niederlage gegen die Bayern kritisierte Sebastian Hoeneß das schlechte Spiel-Management seiner Mannschaft. In einigen Situationen hätten sich seine Spieler nicht clever genug verhalten. Was gegen eine der besten Mannschaften Europas noch vorkommen kann, darf gegen einen Zweitligisten auf keinen Fall passieren. In Braunschweig muss sich der VfB eine geradezu naive Spielführung vorwerfen lassen. Als die Gegenwehr der Gastgeber nach dem 1:2 und 3:4 bereits gebrochen scheint, holen die Schwaben ihren Gegner mit ihrem passiven Auftreten wieder zurück ins Spiel.

So mutig das hohe Pressing der Braunschweiger Löwen wirkt, so riskant ist es für die letzte Linie. Mit gezielten Bällen hinter die Kette kämen die Zweitliga-Verteidiger wohl schnell in die Bredouille. Doch weder Führich, noch Tomás oder Demirovic können die sich bietenden Räume nutzen. Immer wieder stockt der Spielaufbau, regelmäßig verlieren die Gäste den Ball schon in der eigenen Hälfte. Den Offensivkräften gelingt es kaum, Bälle im Angriffsdrittel festzumachen und anhaltenden Druck auf das gegnerische Tor zu erzeugen.

Offensives Stückwerk

Vier deutsche Nationalspieler stehen Trainer Hoeneß im Angriff zur Verfügung, daneben ein bosnischer Auswahlspieler und ein hoch veranlagter Portugiese. Stellenweise blitzt das Potenzial der Einzelspieler auch in Braunschweig auf. Das Problem: Dem Trainer ist es bisher nicht gelungen, die Stärken der Angreifer wirkungsvoll zu kombinieren. Statt Woltemade und Leweling dürfen am Dienstag Tomás und Führich starten, können ihre Ansprüche aber im ersten Durchgang nicht untermauern. Viele Bälle gehen verloren, das Offensivspiel bleibt Stückwerk.

Besonders die Leistung von Deniz Undav gibt dabei Rätsel auf. Ihm fehlt im Moment alles, was ihn sonst so stark macht: der Biss im Zweikampf, die Zielgenauigkeit im Abschluss und das gute Spielverständnis. Es würde niemanden wundern, wenn der Vize-Kapitän und Rekordeinkauf gegen Gladbach zunächst auf der Bank Platz nehmen müsste.

Unvergesslich

Für den neutralen Zuschauer bleiben am Ende eines spektakulären Pokal-Dramas drei Erkenntnisse: Auch als Underdog kann man offensiv auftreten – und kämpfen wie die Löwen. Ein Torwart kann nach einem kapitalen Schnitzer zu Spielbeginn noch zum Helden werden. Und: Ein Pokalspiel, in dem es wirklich um etwas geht, ist allemal interessanter als ein künstlich geschaffener Supercup.

Mein erstes Spiel im Stadion: 1980 VfB – HSV 3:2 (Tore: Müller, Kelsch, Allgöwer) Mein schönstes Stadionerlebnis: 1991 VfB – BVB 7:0 (Allgöwer 2, Sverrisson 3, Walter 2) Meine erste Auswärtsfahrt: 1991 BVB – VfB 0:0 Emotionalster Erfolg: 1992 Deutscher Meister, letzter Spieltag B04 – VfB 1:2 (Tore: Walter, Buchwald) Lieblingsspieler: Helmut Roleder, Asgeir Sigurvinsson

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