Der Landrat, der plötzlich Präsident bleiben will
Mit der Mitgliederversammlung im Juli endete beim VfB vorläufig ein Schauspiel, das manche als notwendige Kurskorrektur interpretieren, andere als Machtdemonstration der großen Bosse. Seitdem herrscht an der Mercedesstraße vereinspolitisch eine trügerische Ruhe, unterbrochen nur von einzelnen Störgeräuschen.
Interimspräsident Allgaier gilt in der Öffentlichkeit als derjenige, der die Wogen im Klub wieder geglättet hat. Dabei wissen die meisten herzlich wenig über sein Wirken – ganz zu schweigen von seiner Bilanz als Landrat. Das zweite Präsidiumsmitglied Grupp fliegt bisher unter dem Radar. Ohne die vorherrschenden Wechselstimmung unter den Mitgliedern wäre er wohl gar nicht gewählt worden. Ob die beiden Herren dazu geeignet sind, den VfB in die Zukunft zu führen? Darüber entscheiden die Mitglieder im März.
An der Seitenlinie
Als es darum geht, ob Porsche in Person von Lutz Meschke noch vor den Neuwahlen der Vereinsspitze der Posten eines weiteren stellvertretenden Aufsichtsratsvorsitzenden – und damit auch die Rolle als viertes Mitglied im Präsidialausschuss – übertragen werden soll, stehen Allgaier und Grupp als Zuschauer an der Seitenlinie.
Vorstandschef Wehrle hat mit den Konzernvertretern schon im Vorfeld des Deals die Machtverhältnisse abgesteckt. Die Übereinkunft: Porsche soll mit Mercedes auf Augenhöhe agieren. Die Interessen des Vereins und seiner Mitglieder spielen in den Überlegungen der Big Player eine untergeordnete Rolle. Mit Unterstützung kampferprobter Rechtsanwälte wird die entsprechende Beschlussvorlage im Aufsichtsrat auf die Tagesordnung gesetzt.
Die CDU-Connection
Apropos Tagesordnung. Mit derlei Formalien kennt sich Allgaier aufgrund seiner Funktion als Landrat des Kreises Ludwigsburg bestens aus. Der Interimspräsident weiß, wie man Sitzungen abhält und Entscheidungen im Vorfeld mit den wichtigen Akteuren abstimmt. Anders als sein Vorgänger verfügt er über umfassende Erfahrung in der Kommunalpolitik und Verwaltung.
Sein Parteibuch ist schwarz, wie auch jene von Tanja Gönner, Monica Wüllner und Christoph Burandt. Letztere taten sich bei der Mitgliederversammlung 2023 mit wirren Redebeiträgen im Namen der Initiative „VfB-jetzt“ hervor. Gönner sitzt heute im Aufsichtsrat, Wüllner im Wahlausschuss. Braucht der VfB diesen Einfluss aus der Politik?
Die meisten Vereinsmitglieder werden die Frage mit nein beantworten. Schon als Mayer-Vorfelder Vereinspräsident und Kultusminister in Personalunion war, ging die Liaison zwischen Sport und Politik nicht immer gut. Claus Vogt wurde vorgeworfen, er könne den Wirtschaftsbossen nicht auf Augenhöhe begegnen. Allgaier und Gönner sind ihrerseits berufsbedingt mit der lokalen Wirtschaft so eng verbandelt, dass man befürchten muss, dass sie nicht ausschließlich die Interessen der Vereinsmitglieder vertreten.
Sinneswandel
Als Anker in stürmischer See angefragt hat Dietmar Allgaier inzwischen Blut geleckt. Aus dem Nichts ändert er die Haltung, dass sein Amt als Landrat nicht mit der verantwortungsvollen Aufgabe des Vereinspräsidenten und Aufsichtsratsvorsitzenden vereinbar sei. Die vermeintliche Lösung: Ein hauptamtlicher Geschäftsführer soll ihm die Mühen des Tagesgeschäftes abnehmen. Gegen das Scheinwerferlicht hat der Berufspolitiker aber selbstredend nichts einzuwenden.
Der plötzliche Sinneswandel kann einen als VfB-Mitglied genauso misstrauisch machen wie das jüngste Debakel um die Ablösung des Geschäftsführers der Regionale Kliniken Holding und Services GmbH (RKH), Jörg Martin. Wer sich bei Klinik-Mitarbeitern nach Allgaier erkundigt, erhält wenig wohlmeinende Kommentare.
Es geht also um zwei grundsätzliche Fragen: Kann und soll das höchste Amt des VfB Stuttgart 1893 e.V. als Nebenjob geführt werden? Sozusagen als Feierabend-Präsident, wie Lennart im Blogbeitrag bei Rund um den Brustring formuliert. Und: Bleiben die Mitgliederinteressen gewahrt, wenn der gewählte Kandidat einen erheblichen Teil der Amtsgeschäfte demokratisch nicht legitimierten Mitarbeitern überträgt? Allgaier sieht darin kein Problem, sondern „eine Aufwertung für den Gesamtverein“.
Sowohl im Aufsichtsrat als auch im AG-Vorstand stößt die neue Konstellation an der Vereinsspitze auf Akzeptanz. Der Interimspräsident darf seine überraschende Kandidatur vor Beginn des offiziellen Bewerbungsverfahrens prominent über die offiziellen Vereinskanäle kommunizieren. Gleichzeitig stellen die beiden einflussreichen Partner und der Vorstand der VfB AG klar: Die im Vorfeld des Porsche-Deals getroffenen Absprachen gelten unabhängig von der Besetzung des Präsidentenamts. Ein berechenbarer Feierabend-Präsident mit unauffällig agierenden Präsidiumsmitgliedern an seiner Seite käme den großen Bossen wohl nicht ungelegen.
Richtungsentscheidung
Die VfB-Mitglieder sind also dazu angehalten, Augen und Ohren offen zu halten, bevor sie einem weiteren Manöver derjenigen auf den Leim gehen, die schon die Kampagne im Vorfeld der letzten Mitgliederversammlung verantworteten. Der Wahlausschuss wird bis zu drei Kandidaten nominieren, die am 22. März für das höchste Vereinsamt zur Wahl stehen. Es wäre eine Überraschung, wenn Allgaier nicht auf dem Wahlzettel stehen würde.
Wir müssen uns fragen, ob wir einen Präsidenten wollen, der eigentlich keine Zeit für das Amt hat und bereits im Vorfeld von prominenter Seite gepusht wird. Leidenschaft und Liebe zum Klub in allen Ehren, aber niemand hat die CDU Baden-Württemberg gebeten, den VfB zu retten.
reybucanero74
Mein erstes Spiel im Stadion: 1980 VfB – HSV 3:2 (Tore: Müller, Kelsch, Allgöwer) Mein schönstes Stadionerlebnis: 1991 VfB – BVB 7:0 (Allgöwer 2, Sverrisson 3, Walter 2) Meine erste Auswärtsfahrt: 1991 BVB – VfB 0:0 Emotionalster Erfolg: 1992 Deutscher Meister, letzter Spieltag B04 – VfB 1:2 (Tore: Walter, Buchwald) Lieblingsspieler: Helmut Roleder, Asgeir Sigurvinsson