Walking Dead
Am Morgen nach dem verpassten Heimsieg gegen Nürnberg vergräbt Markus Weinzierl die Hände tief in den Taschen seiner Trainingshose und kickt gedankenverloren die umherliegenden Bälle über den Rasen. „Wir arbeiten vertrauensvoll und zielgerichtet zusammen“, ließ er tags zuvor verlauten, als er die Jobgarantie aus dem Mund seines Sportvorstands kommentieren sollte. Zunächst hatte er einige Sekunden gezögert, als hätte er mit dieser Frage überhaupt nicht gerechnet. Er wirkt geistesabwesend. Sein „Ich habe alles versucht, jeder hat seine Chance bekommen“ klingt nach Rechtfertigung. Mehr vor sich selbst als vor den Medienvertretern. Die weiß-rote Glücksjacke hat einen kurzen Aufwind, aber zu wenige Punkte gebracht.
Die Familie wohnt in Straubing, dreieinhalb Autostunden entfernt. Mit einem flotten Dienstwagen unter dem Hintern, dem Ärger über den Misserfolg im Bauch und der Sehnsucht nach den Liebsten im Herzen vielleicht auch nur zweieinhalb. Ulm, Augsburg, über den Münchner Ring Richtung Landshut. Dass er mit dem FC Bayern sympathisiert, kann und will er als Urgestein der Bayern-Amateure nicht verbergen. Wie fühlt er sich im Kessel, wo 125 Jahre Vereinshistorie und die großen Erwartungen der Fans auf seinen Schultern lasten? Er verantwortet den schlechtesten VfB aller Zeiten. „Wurscht ist mir das nicht“, sagt er, als er auf die Spekulationen um seinen Nachfolger angesprochen wird. Vielleicht denkt er wehmütig an das Sabbatical, bevor er als Korkut-Nachfolger vorgestellt wurde. Mit den Kindern spielen, Grillabende im Garten und nebenher Millionen aus dem laufenden Vertrag mit einem ambitionierten Bundesligisten einstreichen. Vielleicht trauert er seinem Ruf hinterher als der Mann, der aus wenig viel macht, der Shootingstar unter den jungen Trainern anno 2016. Dann der Knick: Auf Schalke nach einer Spielzeit gescheitert, in Stuttgart eine verheerende Bilanz nach 21 Spielen. Der Lack ist ab. Die Kommentare schwanken zwischen „Was soll ein Trainerwechsel jetzt noch bringen?“ und „Wie sollen wir mit diesem Trainer die Relegation gewinnen?“ Wenige dürften jetzt noch an eine große Trainerkarriere glauben.
Würde man die VfB-Spieler anonym zu ihrem Vorgesetzten befragen – Stimmungsbarometer nennt man das heute – bekäme er von der Hälfte des Kaders wohl ordentlich sein Fett weg. Ob er auch Fürsprecher hätte? Sein Schlingerkurs in der Mannschaftsführung käme ihm hier sicher nicht zugute. Die Führungsachse von La Manga ist ihm um die Ohren geflogen. Ersatz dafür hat er nie gefunden. Der kleine Kreis, den er für die Rückrunde auserwählt hat, ist nicht in der Lage, die Party zu rocken, einige Ausgemusterte zelebrieren ihre schlechte Laune und freuen sich wahrscheinlich innerlich über jeden Misserfolg. Keiner kann mir erzählen, dass da eine Gruppe geschlossen an einem Strang zieht.
„Wir ziehen das jetzt gemeinsam durch“, kündigt Hitzlsperger trotzdem an. Nur was bedeuten „wir“ und „gemeinsam“? Und was meint er mit „durchziehen“? Die schlechteste Saison der Vereinsgeschichte irgendwie zu Ende bringen, wissend, dass man in dieser Konstellation krachend gescheitert ist? Um dann vor einem Trümmerhaufen zu stehen und wieder einmal von vorne anzufangen.
Auch wenn Weinzierl sicher nicht allein für die Misere verantwortlich ist, als Siegertyp wird er in Cannstatt nicht in Erinnerung bleiben. Die Jobgarantie ist gleichzeitig die Ankündigung seiner Entlassung. Noch torkeln die Zombies durch Cannstatt, aber das Ende naht. Schon Thomas Strunz war der Meinung: Das Beste an Stuttgart ist die Autobahn nach München. In diese Richtung werden wir Weinzierl bald endgültig davonbrausen sehen. Abschiedstränen wird es auf beiden Seiten nicht geben.
reybucanero74
Mein erstes Spiel im Stadion: 1980 VfB – HSV 3:2 (Tore: Müller, Kelsch, Allgöwer) Mein schönstes Stadionerlebnis: 1991 VfB – BVB 7:0 (Allgöwer 2, Sverrisson 3, Walter 2) Meine erste Auswärtsfahrt: 1991 BVB – VfB 0:0 Emotionalster Erfolg: 1992 Deutscher Meister, letzter Spieltag B04 – VfB 1:2 (Tore: Walter, Buchwald) Lieblingsspieler: Helmut Roleder, Asgeir Sigurvinsson