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Wie im Tunnel

Der König von Cannstatt: Guirassy nach seinem 25. Saisontor. (Foto: twitter.com/Guirassy_19)

Am frühen Samstagabend ist in Bad Cannstatt alles für ein Fußballfest angerichtet: bestes Frühlingswetter, der Stadionumbau endlich abgeschlossen, die Mannschaft auf der Startrampe nach Europa. Bereits nach einer guten halben Stunde ist das Topspiel gegen den Tabellensechsten dann entschieden. Das beste VfB-Torjägerduo aller Zeiten mit ihren Saisontreffern 25 und 16 sowie der aufstrebende Jamie Leweling mit seinem 10. Scorerpunkt erlegen den Eintracht-Adler noch vor der Pause.

Auf den Tribünen und in den VIP-Räumen der nach dem Umbau wohl teuersten Arena der Bundesliga tummelt sich jede Menge VfB-Prominenz. Ob beim „Abend unter Freunden“ anlässlich der Einweihung der Funktionsbereiche der neuen Haupttribüne oder im „deutschlandweit einzigartigen Porsche Tunnel Club“ zeigt man sich plötzlich wieder gerne im Glanz des Brustrings. Erfolg macht eben sexy – und zieht Günstlinge an wie ein Misthaufen die Fliegen.

Abwehrschwächen genutzt

Die ersatzgeschwächten Gäste aus Frankfurt laufen in der ersten Hälfte meistens der Musik hinterher. Bei den drei VfB-Toren steht die Abwehr freundlich Spalier. Nachdem die Schwaben in jüngerer Vergangenheit im Bundesliga-Klassiker gegen die Eintracht so manch schmerzhafte Niederlage einstecken mussten, ist das Team von Sebastian Hoeneß den Europa-League-Siegern von 2022 in dieser Saison in allen Mannschaftsteilen überlegen.

Der ungefährdete Sieg macht noch einmal deutlich, dass die Leistungsexplosion unter Sebastian Hoeneß kein Strohfeuer ist. Die Entstehung der Tore unterstreicht die Stärken der Mannschaft im Brustring. Stiller bedient nach Ballgewinn den sträflich freistehenden Guirassy, der in unnachahmlicher Weise zum 1:0 verwandelt. Sechs Minuten später luchst Undav dem indisponierten Koch den Ball ab und verwandelt in Torjägermanier, bevor Leweling nach Undav-Traumpass alleine aufs Tor zuläuft und den Torhüter tunnelt. Die Überlegenheit der Gastgeber erstickt die Hoffnungen der mitgereisten Eintracht-Fans im Keim.

Die Mannschaft feiert den Torschützen zum 2:0. (Foto: Jan-Philipp Strobel/dpa)

In der zweiten Hälfte können es sich die Weiß-Roten sogar erlauben, in den Verwaltungsmodus zu schalten. Die Gäste übernehmen das Kommando und erspielen sich auch einige gute Torchancen, die allerdings von der einsatzfreudigen VfB-Abwehr um Kapitän Anton mit Glück und Geschick vereitelt werden. Damit bleibt die Hoeneß-Elf schon zum zehnten Mal in dieser Saison ohne Gegentor und beweist, dass sie sich zurzeit gegen einen Gegner mit internationalen Ambitionen noch nicht einmal bis zur Decke strecken muss.

Just a kid with a dream

Aus einem starken Team ragt am Samstag wieder einmal Deniz Undav heraus. Die Art und Weise, wie er das 2:0 erzielt, der Traumpass zum 3:0 im Balakov-Style und die fast kindliche Begeisterung, mit der er jedes Spiel genießt, machen ihn zu einem extrem wichtigen Baustein des Erfolgs. Man muss weder Fußballexperte noch Psychologe sein, um zu erkennen, dass dieses „Kind mit einem Traum“ unbedingt auch nächste Saison im Brustring spielen muss.

Fabian Bredlow hält seine Bude sauber. (Foto: vfb-exklusiv.de)

Auch Nübel-Ersatz Fabian Bredlow kann sich mit einer fehlerlosen Leistung in Erinnerung bringen und das Vertrauen des Trainers rechtfertigen. In der Pressekonferenz vor dem Spiel hat Sebastian Hoeneß noch einmal betont, dass der gebürtige Berliner in der Torwarthierarchie ganz klar auf dem zweiten Platz steht. Bredlow hält erst zum zweiten Mal im VfB-Trikot die Null und avanciert in der zweiten Halbzeit zum besten Spieler seiner Mannschaft.  

Atakan Karazor absolviert am Samstagabend sein 100. Bundesliga-Spiel. Nicht selbstverständlich für einen, der sich über die Zweite Liga nach oben kämpfen musste. Der Deutsch-Türke galt auch beim VfB lange nur als Aushilfe, als Zerstörer-Variante zu den Stammspielern Endo und Mangala. Im Hoeneß-System hat er in dieser Saison einen enormen Leistungssprung gemacht und einen Teil der Lücke ausgefüllt, die Wataru Endo durch seinen Wechsel nach Liverpool hinterlassen hat.

Der Weg in die Champions-League

Fünf Spieltage vor Schluss steht fest: Der VfB wird am Saisonende mindestens Fünfter – und zieht damit zumindest in die Europa League ein. Schon das ist ein bemerkenswerter Erfolg, den vor acht Monaten niemand für möglich gehalten hätte. Wer aber über fast die ganze Spielzeit den dritten Tabellenplatz belegt hat, will sich diesen auf der Zielgeraden nicht mehr nehmen lassen. Die Chancen auf die Champions-League-Qualifikation stehen gut.

Noch 15 Punkte sind zu vergeben, wobei die Verfolger aus Leipzig und Dortmund noch gegeneinander spielen. Damit genügen dem VfB sechs Punkte aus den verbleibenden fünf Partien, um unter den ersten Vier zu bleiben. Angesichts der im Vergleich zu Dortmund deutlich besseren Tordifferenz und dem schweren Restprogramm der Gelb-Schwarzen könnte aber schon ein Sieg in Bremen kommende Woche den Weg in die Königsklasse ebnen.  

Der VfB hat schon jetzt Platz 5 sicher. (Quelle: kicker.de)

Trotz der beeindruckenden spielerischen Reife und der Euphorie rund um die Mannschaft ist Vorsicht angesagt. Wenn in Bad Cannstatt ausgelassen gejubelt wurde und sich die Ehrengäste die Klinke in die Hand gaben, beging man in der Vergangenheit die größten Fehler. Die sportliche Leitung hat trotz der bevorstehenden Mehreinnahmen und des Porsche-Einstiegs nur ein sehr begrenztes Budget zur Verfügung, um die Leistungsträger zu halten und den Kader in der Breite zu ergänzen.

Eine Etage höher sollte man sich nicht zu früh über die verschobenen Machtverhältnisse und die neuen Tunnel-Club-Connections freuen. Einen Dietrich oder Bobic auf der Ehrentribüne kann die Anhängerschaft gerade noch verkraften, an anderer Stelle müssen aber frische Köpfe her, die nicht nach Günstlingswirtschaft riechen.

VfB Stuttgart – Eintracht Frankfurt 3:0

Mein erstes Spiel im Stadion: 1980 VfB – HSV 3:2 (Tore: Müller, Kelsch, Allgöwer) Mein schönstes Stadionerlebnis: 1991 VfB – BVB 7:0 (Allgöwer 2, Sverrisson 3, Walter 2) Meine erste Auswärtsfahrt: 1991 BVB – VfB 0:0 Emotionalster Erfolg: 1992 Deutscher Meister, letzter Spieltag B04 – VfB 1:2 (Tore: Walter, Buchwald) Lieblingsspieler: Helmut Roleder, Asgeir Sigurvinsson

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