Undav rettet einen Punkt
Wenn auswärtige Volkswagen-Mitarbeiter an den Stammsitz verlegt werden, suchen sie sich meistens eine Bleibe in Braunschweig. In der seelenlosen Reißbrettstadt Wolfsburg will nämlich niemand wohnen. Oder sie ziehen gleich nach Berlin. Von dort ist man mit dem ICE in einer guten Stunde im VW-Werk – falls der Zugführer den Halt nicht wieder vergisst. Auch das Auswärtsspiel beim VfL Wolfsburg könnte man getrost vom Spielplan streichen, ohne dass es irgendjemand vermissen würde.
Drei Tage vor dem ersten Champions-League-Heimspiel nach 14 Jahren erscheint die Reise an die Aller noch lästiger als sonst. Wer sich in der Bundesliga jedoch frühzeitig eine komfortable Ausgangssituation verschaffen will, muss auch solche Dienstreisen professionell hinter sich bringen. Dass der VfB nach 99 Minuten mit einem 2:2 zufrieden sein muss, hat einerseits damit zu tun, dass sich die Gastgeber über weite Strecken am eigenen Strafraum einigeln und ihre seltenen Konter in zwei Tore ummünzen. Leider hat aber auch Schiedsrichter Jablonski seinen Anteil daran, dass die Hasenhüttl-Elf trotz klarer Unterlegenheit fast als Sieger vom Platz geht.
Viel Ballbesitz, wenig Gefahr
Sebastian Hoeneß verändert seine Mannschaft im Vergleich zum Dortmund-Spiel auf nur einer Position. Rieder startet für Undav, der zunächst geschont wird. Der Matchplan geht in der Anfangsphase auf: Der VfB kontrolliert mit viel Ballbesitz das Spiel und hat bereits in der 4. Minute die Chance zur Führung: Demirovic scheitert nach Rieders Steckpass am starken Block des Wölfe-Torwarts. Die Gastgeber stehen ihrerseits tief und lauern auf Konter. In der 20. Minute erwischen sie die Weiß-Roten zum ersten Mal auf dem falschen Fuß: Vagnoman unterläuft ein Fehlpass in der Wolfsburger Hälfte, Amoura wird über links geschickt, Wind verwandelt die Hereingabe aus zwölf Metern unhaltbar zum 1:0.
In der Folge tut sich die Hoeneß-Elf schwer, gefährlich vor das Tor von Kamil Grabara zu kommen. Ein glücklicher Elfmeter sorgt trotzdem für den Ausgleich. Bornauw berührt Leweling im Zweikampf kurz vor der Torauslinie am Fuß, Millot verwandelt im Nachschuss (30.). Mittelstädt verpasst wenig später das zweite Tor, als er den Ball aus halblinker Position neben den Pfosten setzt (39.). Es scheint nur eine Frage der Zeit, bis der Vizemeister den Sack zumacht. Doch dann verändert Schiedsrichter Jablonski mit einer Gelb-Roten Karte die Dynamik des Spiels nachhaltig. Der VfB verliert die Kontrolle und kassiert den zweiten Gegentreffer nach einem Ballverlust von Undav an der Mittellinie.
Das dritte Kontertor in den letzten zwei Partien legt eine Schwäche im Stuttgarter Spiel offen. Die weit aufrückenden Außenverteidiger hinterlassen nach Ballverlusten in der Vorwärtsbewegung Löcher in der Restverteidigung. Zudem fehlt den Innenverteidigern die Geschwindigkeit, um bei schnellen Gegenstößen rechtzeitig zu intervenieren. Der Lucky Punch gelingt schließlich in der neunten Minute der Nachspielzeit. Führich kann den Ball nach einer Flanke im Wolfsburger Strafraum festmachen, passt auf Mittelstädt, der Undav am zweiten Pfosten bedient. Der 30-Millionen-Einkauf trifft per Direktabnahme und rechtfertigt mit dem fünften Treffer aus den letzten vier Spielen das in ihn gesetzte Vertrauen.
Absurde Regeln
Früher war Deutschland für seine guten Schiedsrichter bekannt. Auch im Ausland wurde Unparteiischen wie Aaron Schmidhuber, Markus Merk oder Hellmut Krug Respekt entgegengebracht, weil sie in schwierigen Situationen den Überblick behielten, weil sie die Regeln kompetent anzuwenden wussten. Heute gibt es wenig Gutes über das deutsche Schiedsrichterwesen zu sagen. Die Leistungen sind unterdurchschnittlich, der Video-Schiedsrichter (VAR) sorgt zusätzlich für Unmut. Das Spiel in Wolfsburg legt die Probleme modellhaft offen.
Die meistdiskutierte Szene spielt sich in der 63. Minute ab: Die Kapitäne gehen im Mittelfeld beherzt in einen Zweikampf. Beide sind bereits verwarnt. Maximilian Arnold – nennen wir ihn Arni, denn seine schauspielerischen Versuche wirken ähnlich plump wie die seines aufgepumpten Namensvetters – fällt und hält sich den Knöchel. Zugegebenermaßen ist der Zweikampf auf den ersten Blick nicht leicht zu bewerten. Doch das Fernsehbild belegt eindeutig, dass Arni seinen Gegenspieler derb am Knöchel erwischt. Doch Jablonski entscheidet umgekehrt: Atakan Karazor muss mit Gelb-Rot vom Platz.
Ein Fall für den Video-Assistant-Referee, sollte man meinen. Falsch gedacht. Bei Gelben Karten darf der Video-Schiedsrichter nämlich laut Regelwerk nicht eingreifen, selbst wenn es sich um einen eindeutigen Fehler und einen schwerwiegenden Eingriff ins Spiel handelt. Spieler, Trainer, Betreuer und Zuschauer wissen schon kurze Zeit später, dass der Platzverweis gegen Karazor ein Witz ist, aber an der Tatsachenentscheidung ist nicht zu rütteln.
Eine Frage der Qualität
Bei aller Kritik am Reglement darf man allerdings nicht verschweigen, dass jede Regel und jedes Hilfsmittel wenig bringt, wenn die Schiedsrichter auf dem Platz überfordert sind. Ein guter Referee hätte niemals einen Platzverweis ausgesprochen, wenn er die betreffende Szene nicht klar bewerten kann. Und er hätte auch ohne Zeitlupe erkannt, dass die Grätsche von Mohammed Amoura in der 74. Minute zwar eine klare Gelbe, ohne nennenswerten Kontakt aber keine Rote Karte ist.
Sven Jablonski gesteht seine Fehler zwar nach dem Spiel ein, den Schaden kann er aber nicht mehr beheben. So kann sich der VfB glücklich schätzen, zumindest mit einem Punkt im Gepäck aus Wolfsburg abzureisen. Ein schlechtes Gefühl bleibt trotzdem und kaum einer in Bad Cannstatt hätte wohl etwas dagegen, wenn die Autostadt künftig kein Reiseziel mehr wäre.
VfL Wolfsburg – VfB Stuttgart 2:2
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reybucanero74
Mein erstes Spiel im Stadion: 1980 VfB – HSV 3:2 (Tore: Müller, Kelsch, Allgöwer) Mein schönstes Stadionerlebnis: 1991 VfB – BVB 7:0 (Allgöwer 2, Sverrisson 3, Walter 2) Meine erste Auswärtsfahrt: 1991 BVB – VfB 0:0 Emotionalster Erfolg: 1992 Deutscher Meister, letzter Spieltag B04 – VfB 1:2 (Tore: Walter, Buchwald) Lieblingsspieler: Helmut Roleder, Asgeir Sigurvinsson