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Über Gier und Verzicht

Es sollte ein Festtag werden. Spitzenspiel und Aufstiegskrimi. Am 6. April hatte ich ab Mittag alle Termine abgesagt und mir vorsichtshalber auch für den Folgetag einen großzügigen Puffer gelassen. Wer weiß denn schon, wie und wo so ein Fußballabend endet. Inzwischen ist mein Kalender bis tief in den Sommer ein einziges Fragezeichen. Jede Skype-Session beginnt mit einem ernstgemeinten „Wie geht´s dir?“ und endet mit „Bleib gesund!“. Während sich überforderte Eltern im Home-Schooling versuchen und Gastronomen, Kleinunternehmer oder Freelancer um ihre Existenz bangen, ist sich die Deutsche-Fußball-Liga sicher: Die Saison muss zu Ende gespielt werden.

Ist das noch mein Fußball?

Es entbehrt nicht einer gewissen Pikanterie, dass kurz nach dem heuchlerischen Ringelpiez von Hoffenheim ausgerechnet die bösen Ultras einen Einkaufsservice für Senioren anbieten, während Rummenigge und Watzke vom Geld reden. Wollte man die „Chaoten“ und „Vollidioten“ aus der Kurve nicht eben noch einsperren? Plötzlich sind die Funktionäre von ihrem hohen Ross herunter. Ihnen geht die Düse: Einnahmeverluste im Millionenbereich. Hold my Moral, ich muss nach der Kasse gucken.

Der BVB-Geschäftsführer outet sich sogleich, dass er Solidarität für ungerecht hält, und blamiert sich auch ansonsten in der Sportschau bis auf die Knochen. Sein Pendant vom FC Bayern hat diese Stufe spätestens seit der denkwürdigen Menschenrechts-PK bereits hinter sich gelassen. Mehr Gespür zeigen da einige Kicker, die Spendenaufrufe starten und hinter ihre Ernsthaftigkeit anhand eines eigenen Beitrags mit sechs Nullen ein Ausrufezeichen setzen.

Viele von uns denken dieser Tage an Menschen, die es schwer haben. Der Fußball denkt an sich selbst. Die Blase droht zu platzen. Ohne die regelmäßigen Spritzen der TV-Vermarktung kann das Profigeschäft nicht lange überleben, lautet die Warnung. Der Junkie braucht keine Fans, keine Folklore, keine Romantik. Er braucht Stoff.   

Wer will eigentlich Geisterspiele?

Um die Einnahmeverluste durch Spielausfälle abzufedern, ist die DFL wild entschlossen, die Saison mit Gewalt zu Ende zu spielen. Manche Home-Office-Geschädigte atmen auf, denn sie sind schon nach zwei Wochen Enthaltsamkeit geneigt, sich den Geisterklassiker Aue gegen Sandhausen in voller Länge reinzuziehen. Andere schwören, dass sie noch nicht einmal in ein Bundesliga-Spitzenspiel reinzappen würden, wenn auf den Rängen Grabesstille herrscht.

Die Alternativlosigkeit, mit der die DFL ihren Geisterplan verteidigt, will mir allerdings nicht in den Kopf. Könnten die neun ausstehenden Spieltage nicht dadurch kompensiert werden, dass die Ligen in der kommenden Saison aufgestockt werden? 22 statt 18 und schon hätte jede Mannschaft acht Spiele mehr. Könnte der Verband nicht mit den TV-Sendern verhandeln, dass Teile dieser zusätzlichen Einnahmen sofort bezahlt werden, um das Überleben der Vereine zu sichern?

Vielleicht erkennen ja selbst die Gierigsten der Branche irgendwann, dass die Solidarität von Spielern, Vereinen, Verbänden und TV-Anstalten das Profi-Business auf stabilere Beine stellen kann. Verzicht statt Gier. Neue Allianzen statt Geisterspiele.       

SV Wehen-Wiesbaden – VfB (abgesagt)

Holstein Kiel – VfB (abgesagt)

Mein erstes Spiel im Stadion: 1980 VfB – HSV 3:2 (Tore: Müller, Kelsch, Allgöwer) Mein schönstes Stadionerlebnis: 1991 VfB – BVB 7:0 (Allgöwer 2, Sverrisson 3, Walter 2) Meine erste Auswärtsfahrt: 1991 BVB – VfB 0:0 Emotionalster Erfolg: 1992 Deutscher Meister, letzter Spieltag B04 – VfB 1:2 (Tore: Walter, Buchwald) Lieblingsspieler: Helmut Roleder, Asgeir Sigurvinsson

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