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Silas bringt das Lachen zurück

In der Pressekonferenz am Freitagvormittag spürt man, wie unwohl sich Interimstrainer Michael Wimmer auf dem Podium fühlt. Im Vorfeld hat er sich ein paar Phrasen zurechtgelegt, mit denen er versucht zu vermitteln, was ihm wohl die wenigsten abnehmen: Dass die Mannschaft nach dem Tiefschlag vom Montag gegen den VfL Bochum fokussiert und mutig auftreten wird.

Am Samstagnachmittag kurz vor fünf sieht die Welt dann ganz anders aus. Als Silas die Hereingabe von Borna Sosa zum 3:1 verwandelt, beginnen sich die Gesichtszüge des ehemaligen Co-Trainers zu entspannen. Nach Spielende wird der 42-jährige Niederbayer von allen geherzt. Endlich fällt der Druck ab, der sich seit der Entlassung seines Chefs aufgebaut hat. Auch wenn die Probleme des Teams noch lange nicht behoben sind, dürfen die Weiß-Roten endlich wieder vor der Cannstatter Kurve hüpfen.

Kollektive Erleichterung

Sven Mislintat erinnert in der Stunde des Sieges zunächst an den Mann, der nach fast drei Jahren Amtszeit am Montag entlassen wurde: „Das ist ganz klar auch Rinos Sieg und seine Handschrift in dieser Mannschaft, die heute 4:1 gewonnen hat.“

Stuttgarts Silas Katompa Mvumpa jubelt über sein Tor zum 3:1
Silas: Mit zwei Toren und einer Vorlage ist er der Mann des Tages in Bad Cannstatt. (Bild: Michael Weber/Imago, sportschau.de)

Ganz besonders bedanken muss sich der VfB aber bei Silas Katompa Mvumpa. Ausgerechnet in diesem so wichtigen Spiel findet der Kongolese mit dem ansteckenden Lachen seine alte Leichtigkeit wieder. Schon in der dritten Minute düpiert er die gegnerische Hintermannschaft zum ersten Mal, verwandelt den resultierenden Strafstoß höchstselbst und stellt damit die Weichen zum ersten Dreier seit dem 14. Mai.

Neben Matchwinner Silas überrascht auch Enzo Millot die VfB-Fans mit einem erfrischenden Startelfdebüt, während Guirassy-Ersatz Luca Pfeiffer und Tiago Tomás trotz aller Bemühungen keine Torgefahr ausstrahlen. Bei aller berechtigten Freude dürfen wir nicht übersehen, dass die Mannschaft um Kapitän Endo phasenweise vom Tabellenletzten dominiert wird. Die notorischen Aussetzer in der Hintermannschaft und die mitunter riesigen Lücken im Mittelfeld hätten den VfB womöglich wieder um den Lohn der Arbeit gebracht, wenn dieses Mal nicht das Spielglück auf seiner Seite gewesen wäre.  

Mahnung der Kurve

Mit dem Sieg gegen das Schlusslicht ist also zumindest ein erhoffter Effekt der Trainerentlassung eingetreten. Doch erst die kommenden Wochen werden zeigen, ob auch ein nachhaltiger Aufschwung gelingt. Sorgen bereitet, dass niemand so genau weiß, wer eigentlich derzeit die sportlichen Entscheidungen an der Mercedesstraße trifft und aus welchen Lecks der Boulevard regelmäßig gefüttert wird.

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Choreografie der Cannstatter Kurve in den Farben Württembergs. (Bild: Frank/@teufelszeug1893, twitter.com)

Die Cannstatter Kurve schickt am Samstag daher auch einen Gruß in die Führungsetage: „Nehmt Euch ein Beispiel an der Kurve und zeigt Geschlossenheit“. Auch wenn der Totalschaden zunächst abgewendet werden konnte, geben die Entscheider dieser Tage kein gutes Bild ab. Die öffentliche Kommunikation der Trainerentlassung und Nachfolgersuche erfolgt genauso ungeschickt wie die Verkündung der neuen Berater des Vorstandsvorsitzenden. Zwei PR-Desaster innerhalb weniger Wochen haben das Umfeld derart aufgeheizt, dass selbst eine Ente der BILD-Zeitung wildeste Reaktionen hervorruft.

Der Klub braucht keine Selbstdarsteller, sondern ein Führungsteam, das sich gegenseitig ergänzt und unterstützt. Der schwache Saisonstart, die stockende Entwicklung der Mannschaft und die Entlassung des Cheftrainers zeugen davon, dass auch sportlich einiges im Argen liegt. Diesen Schuh müssen sich in erster Linie diejenigen anziehen, die diesen Bereich schon seit geraumer Zeit verantworten.

Wohin führt der Weg?

Trotz des gelungenen Einstands wird die Zeit des Interimstrainers wohl schon in den nächsten Tagen ablaufen. Welche Kriterien bei der Auswahl des Nachfolgers zugrunde gelegt werden, ist noch unklar. Behält man die Grundausrichtung bei, verfeinert sie im besten Fall und kitzelt so mehr aus dem Kader heraus? Oder ist es notwendig, die Spielweise anzupassen, um das Verhältnis zwischen Aufwand und Ertrag zu verbessern?

Statistisch gesehen verfehlen Trainerwechsel während der Saison ihre Wirkung in der Regel. Trotzdem ist in den ersten Spielen öfter ein kurzfristiger Neuer-Besen-Effekt zu beobachten. Ein unverbrauchter Trainer kann die Ansprache verändern, den internen Konkurrenzkampf anheizen und die hierarchische Struktur der Mannschaft stärken.

Vier Wochen vor der Katar-Pause muss der VfB entscheiden, mit welcher Strategie und in welcher personellen Konstellation das Saisonziel erreicht werden kann. Wie fragil das Gebilde auch gut drei Jahre nach der Neuausrichtung vom Sommer 2019 ist, haben die vergangenen fünf Tage gezeigt.

VfB Stuttgart – VfL Bochum 4:1

Mein erstes Spiel im Stadion: 1980 VfB – HSV 3:2 (Tore: Müller, Kelsch, Allgöwer) Mein schönstes Stadionerlebnis: 1991 VfB – BVB 7:0 (Allgöwer 2, Sverrisson 3, Walter 2) Meine erste Auswärtsfahrt: 1991 BVB – VfB 0:0 Emotionalster Erfolg: 1992 Deutscher Meister, letzter Spieltag B04 – VfB 1:2 (Tore: Walter, Buchwald) Lieblingsspieler: Helmut Roleder, Asgeir Sigurvinsson

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