Schwäbische Party in der Autostadt

Als der VfB im März 2024 in Sinsheim sowohl den Gegner als auch das Stadion nach Belieben dominierte, bildeten Guirassy, Millot und Undav das Offensivtrio in einem 3-4-2-1. Damals gewann man mit 0:3 und beendete die Saison zwei Monate später als Vizemeister. Am Samstag demütigen die Schwaben den VfL Wolfsburg in ähnlicher Weise. Wieder im 3-4-2-1, diesmal mit Tomás, El Khannouss und Nartey in der Angriffsreihe. Nach dem einseitigen Spiel stehen zwei Fragen im Raum: Wie weit kann der Bilal-Aufwind den VfB tragen? Und: Was macht die VW-Fußballabteilung eigentlich noch in der Bundesliga?
Small Ball
Ohne Woltemade, Undav und Demirovic konnte man befürchten, dass sich die Weiß-Roten als Minimalisten durch die Saison quälen müssten. Doch Sebastian Hoeneß zaubert wieder einmal eine unerwartete Variante aus dem Ärmel: Der schnelle Nikolas Nartey steht zum ersten Mal seit zweieinhalb Jahren in der Startelf – und das nicht als Sechser oder Linksverteidiger, sondern als einer von zwei Zehnern hinter Sturmspitze Tomás. Über die Flügel sorgen Mittelstädt und Assignon als Wingbacks für Breite.
Speed und Beweglichkeit statt Strafraumpräsenz und Robustheit. Die Rechnung des Trainers geht auf, weil sich sein Team im Gegensatz zu schläfrigen Wölfen hellwach und aggressiv präsentiert. Und weil die beiden besten Fußballer im Kader das Zusammenspiel entdecken. El Khannouss behält den Kopf oben, während ihm der Ball am Fuß klebt, steckt zu Stiller durch, der den Ball im Stile eines Torjägers mitnimmt und mit links punktgenau versenkt (80.). Wer braucht da noch einen echten Mittelstürmer?
Trauriger Standort
Im Kerngeschäft der Volkswagen AG läuft es schon seit Längerem mies. Das einstige Ziel, größter Autohersteller der Welt zu werden, klingt den Mitarbeitern heute wie Hohn in den Ohren, wenn über Werkschließungen und Personalabbau diskutiert wird. Die Fußballer mit dem VW-Logo auf der Brust hat ein ähnliches Schicksal ereilt. 2009 noch Deutscher Meister ging es in den letzten vier Jahren richtig bergab. Im Konzern wie im Profifußball lautet die Bilanz: hohe Investitionen, schlechte Rendite.
Am Samstag verlieren sich offiziell 26 145 Zuschauer in der VW-Arena. Wenn man die No-Show-Rate und den weit über den Gästeblock hinausgehenden weiß-roten Anteil abzieht, bleibt eine Heimkulisse, die selbst in der dritten Liga regelmäßig übertroffen wird. Die Auswärtsfahrer machen den Samstagnachmittag in Wolfsburg zu einer schwäbischen Party – und zu einer Demütigung für die Gastgeber.
Die verzweifelten Schussversuche, die oft weit oben im Fangnetz landen, werden mit höhnischem Applaus und Europapokal-Gesängen quittiert. Laienschauspieler Arnold, der seiner Mannschaft beim letzten VfB-Gastspiel einen Platzverweis gegen Karazor erschlich, sitzt derweil mit versteinerter Miene auf der Bank. Karma kickt hart.
Ein neuer VfB?
Die Helden der beiden vergangenen Spielzeiten sind weg, einige Leistungsträger schlecht aus den Startblöcken gekommen. Bei der 3:1-Pleite in Freiburg wirkte der VfB blutleer und ideenlos. Die Diskussionen über die Kaderlücke in der Sturmspitze taten ihr Übriges. Wie das Trainerteam die Mannschaft umformieren und wieder auf den Erfolgsweg führen könnte, war alles andere als offensichtlich.
Vier Ligasiege hintereinander, gekrönt vom überzeugenden 3:0-Sieg in Wolfsburg, regen nun die Fantasie der VfB-Fans wieder an. Schlüssel für den Aufwärtstrend sind drei Neuzugänge und drei Etablierte, die gerade zu Bestform auflaufen.
- Chabot läuft in Wolfsburg erstmals als Kapitän auf und agiert auf dem Feld wie eine wahre Autorität.
- Mittelstädt ist von Nationalmannschaftsfrust gar nichts anzumerken, er spielt auf einem konstant hohen Niveau, seit er den Brustring trägt.
- Der Formanstieg von Angelo Stiller gibt der Mannschaft wieder die nötige Stabilität und kreative Momente.
- Assignon zeigt nach Anlaufschwierigkeiten, warum man ihn im Sommer aus Rennes loseiste. Dynamisch und technisch stark macht der Franzose die rechte Seite zweifellos stärker.
- Thiago Tomás fühlt sich in weiß-rot sichtlich wohl. Seine Vielseitigkeit und fußballerische Klasse sind wertvoll für das Team.
- Obwohl Bilal El Khannouss zunächst nur von Leicester City ausgeliehen ist, darf man den Marokkaner schon jetzt als Königstransfer des Sommers bezeichnen. Die enge Ballführung, seine Spielintelligenz und Cleverness machen ihn schon jetzt zum größten Versprechen für die Zukunft.
Am kommenden Donnerstag bei Fenerbahçe wird die Hoeneß-Elf wieder versuchen, Dominanz auszustrahlen. Schwer genug, aber als sicher darf gelten, dass das Duell auf den Rängen dann nicht zugunsten der Schwaben ausgehen wird. Das Şükrü-Saracoğlu-Stadion in Istanbul gilt nämlich als eines der lautesten in Europa.
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reybucanero74
Mein erstes Spiel im Stadion: 1980 VfB – HSV 3:2 (Tore: Müller, Kelsch, Allgöwer) Mein schönstes Stadionerlebnis: 1991 VfB – BVB 7:0 (Allgöwer 2, Sverrisson 3, Walter 2) Meine erste Auswärtsfahrt: 1991 BVB – VfB 0:0 Emotionalster Erfolg: 1992 Deutscher Meister, letzter Spieltag B04 – VfB 1:2 (Tore: Walter, Buchwald) Lieblingsspieler: Helmut Roleder, Asgeir Sigurvinsson