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Neunzig plus acht

An das Bundesligaspiel vom Dienstag wird man sich noch eine Weile erinnern. Nicht dass der VfB und Hertha ein Fußball-Feuerwerk auf den Rasen gezaubert hätten, aber die dramatischen Minuten, die unser Käptn regungslos im Strafraum liegt, und der Moment, als Kontantinos Mavropanos die Cannstatter Kurve explodieren lässt, gehen nach Waldis Last-Minute-Krampf und dem unvergleichlichen 14. Mai wieder einmal ganz tief unter die weiß-rote Haut.

Come on baby light my fire: Sosa und Dinos zünden die Kurve an. (Bild: Christian Kaspar-Bartke via Getty Images)

Ecke von links

Während der ganzen zweiten Halbzeit – und erst recht nach dem Endo-Schock – läuft bei den Spielern im roten Brustring nicht mehr viel zusammen. Wie in bisher jedem Bundesligaspiel unter Michael Wimmer wirkt das Team im zweiten Durchgang seltsam gehemmt. Von der Wucht der Anfangsphase und den starken Minuten vor der Pause ist da nichts mehr sehen.

Erst als der Assistent an der Seitenlinie sieben Minuten Nachspielzeit anzeigt, geht ein Ruck durchs Stadion. Borna Sosa saust die linke Seite hoch und runter. In der 98. Minute gibt es noch einmal Ecke von links. Ihr wisst, was das heißt! Diesmal zupft sich nicht Omar Marmoush die Stutzen zurecht, sondern der kroatische Nationalspieler, der in diesem Stadion vielleicht seine letzte Ecke in den Strafraum treten wird. Ähnlich wie einst auf dem Betzenberg passieren im Neckarstadion in den Schlussminuten manchmal Dinge, die schwer zu erklären sind. Kurz danach bebt die ganze Arena.

Ancelotti-Style

Wenn ich sehe, wie Michael Wimmer am Spielfeldrand 90 Minuten lang seinen Kaugummi bearbeitet, muss ich unwillkürlich an Carlo Ancelotti denken. Der ist außerdem bekannt dafür, dass er eine ganz besondere Art hat, eine Mannschaft zu führen. Da wird nicht im Stile van Gaals abgekanzelt und provoziert, sondern vertrauensvoll kommuniziert und Verantwortung übertragen.

Um Gottes Willen, ich möchte den niederbayerischen Interimstrainer auf keinen Fall mit dem großen Signore des europäischen Fußballs vergleichen, aber wenn man die Dynamik und Entschlossenheit der Mannschaft in einzelnen Phasen des Spiels betrachtet, kann man dem Trainer eine gewisse Wirkung auf das Team nicht absprechen. Eine Wirkung, die der andere, noch nicht ganz so große Signore auf der VfB-Bank zuletzt nicht mehr erzielen konnte.

Begeistern und pushen kann der Michi also gut, aber wie steht es um taktische Elemente und die Statik des Spiels? Auffällig ist, dass seine Mannschaft viele Gegentore hinnehmen muss. Am Dienstag läuft schon die fünfte Abwehrformation im sechsten Pflichtspiel unter Wimmer auf. Und auch diesmal wirkt der Defensivverbund alles andere als sicher.

Das größte Problem bleibt aber das riesige Loch im zentralen Mittelfeld. Wo Matarazzo noch gerne einen Trichter platzierte, lässt Wimmer seinen Kapitän die Defensivaufgaben fast alleine verrichten. Gegen Hertha formieren sich die Weiß-Roten über weite Strecken zu einem 4-1-4-1, in dem Ahamada, Egloff, Silas und Tomás in erster Linie offensive Rollen übernehmen. In der 19. Minute nutzen die Gäste diese Lücken und Waldemar Antons naives Stellungsspiel zum Ausgleich, in vielen weiteren Situationen agiert das Team von Sandro Schwarz zu umständlich, um die Gastgeber zu bestrafen.

Eine einfache Hochrechnung

Unter dem Strich – und da wird ein Fußballfachmann wie Sven Mislintat sicher nicht widersprechen – benötigt der VfB ziemlich viel Glück für den dritten Saisonsieg. Damit hat Wimmer aus fünf Spielen neun Punkte geholt. 1,8 im Schnitt, hat der Sportdirektor blitzschnell ausgerechnet. Hochgerechnet auf die Restrunde würde der VfB damit wohl die Klasse halten, selbst wenn man am kommenden Samstag in Leverkusen verliert.

Was er nicht sagt: Mit einer Leistung wie gegen Bochum, Augsburg und Hertha wird gegen die meisten Mannschaften der Liga wahrscheinlich gar nichts zu holen sein. Die drei Heimspiele gegen direkte Konkurrenten im Abstiegskampf als Maßstab für die zu erwartende Punktzahl am Saisonende herzunehmen, ist nicht mehr als eine Milchmädchenrechnung, das weiß Mislintat genau. Offensichtlich hat er aber ein Interesse daran, die Interimslösung für eine Festanstellung als Cheftrainer zu empfehlen.

Dass der Klub damit insgesamt wieder ein schlechtes Bild abgibt, scheint ihn nicht zu stören. In den kommenden Wochen stehen nämlich Gespräche über die grundsätzliche sportliche Ausrichtung an. Da ist es wenig hilfreich, sich schon im Vorfeld öffentlich auf eine Lösung für die Trainerposition festzulegen.   

Trügerische Sicherheit

Der 14. Spieltag lässt das hintere Drittel der Bundesliga wieder näher zusammenrücken. Mit Schalke, Bochum und Stuttgart haben die letzten drei der Tabelle Siege eingefahren, Mannschaften wie Köln, Mainz und Hoffenheim müssen auf einmal einen Blick in den Rückspiegel werfen. Die Warnung ist deutlich zu vernehmen: Fühlt euch nicht zu sicher. Nach einem guten Drittel der Saison ist noch keiner abgestiegen.

Auch dem VfB darf diese Erkenntnis Mut machen. Phasenweise lässt die Mannschaft wieder ihre individuelle Klasse aufblitzen. Wie Serhou Guirassy beim Führungstreffer Marc Oliver Kempf kaltstellt, lässt selbst den früheren Publikumsliebling Kalajdzic klein aussehen. Klar ist allerdings auch: Die Magie der Nachspielzeit wird nicht reichen, um das Saisonziel zu erreichen.

VfB Stuttgart – Hertha BSC Berlin 2:1

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Mein erstes Spiel im Stadion: 1980 VfB – HSV 3:2 (Tore: Müller, Kelsch, Allgöwer) Mein schönstes Stadionerlebnis: 1991 VfB – BVB 7:0 (Allgöwer 2, Sverrisson 3, Walter 2) Meine erste Auswärtsfahrt: 1991 BVB – VfB 0:0 Emotionalster Erfolg: 1992 Deutscher Meister, letzter Spieltag B04 – VfB 1:2 (Tore: Walter, Buchwald) Lieblingsspieler: Helmut Roleder, Asgeir Sigurvinsson

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