Neue Vorbilder

Das Champions-League-Finale bestätigt die These, die Sebastian Hoeneß vor seinem eigenen großen Endspiel formulierte: Luis Enriques PSG ist gerade das Nonplusultra in Europa. Der VfB-Trainer hat sich entgegen seiner sonstigen Gewohnheit auch nach der deftigen Niederlage im Januar noch mit der Mannschaft aus Paris beschäftigt.
Wenn er über den letzten VfB-Gegner in der Champions-League spricht, hört man Bewunderung aus seinen Worten heraus. Gleichzeitig treiben solche Niederlagen den ehrgeizigen Fußballlehrer zusätzlich an. Ständig ist er auf der Suche nach neuen Ansätzen, um das Spiel seiner Mannschaft weiterzuentwickeln. Mit Mustern aus Roberto de Zerbis Handschrift überraschte er 2023/24 die ganze Liga und wurde Vizemeister.
Entwicklungsschritte
VfB-Fans müssen nicht lange nachdenken, wenn sie nach den Highlights der vergangenen Saison – neben dem Pokalsieg – gefragt werden: Die dominante erste Halbzeit im Bernabeu, der überzeugende Auswärtssieg bei Juventus und nicht zuletzt die beiden Bundesliga-Siege gegen den neuen Arbeitgeber der Ex-Stuttgarter Guirassy und Anton.
Und doch ist augenscheinlich, dass die Hoeneß-Elf nach der sensationellen Vorsaison aus dem Gleichgewicht geraten ist. Zu oft verloren die Spieler im Brustring die Kontrolle über Partien, die sie eigentlich schon in der Hand hatten. Wechselnde Formationen in der Abwehrkette führten zu übermäßig vielen Gegentoren, die im Verbund mit Formschwankungen wichtiger Spieler eine Platzierung in der Spitzengruppe der Liga verhinderten.
„Ich würde wegen der Art, wie er verteidigt und gepresst hat, Herrn Ousmane Dembélé den Ballon d’Or geben“, sagte Luis Enrique nach dem 5:0 am Samstag. Der PSG-Star war zwar an der Entstehung von drei Toren entscheidend beteiligt, traf selbst aber nicht. Genau diese aufopferungsvolle Arbeit für die Mannschaft streicht auch Sebastian Hoeneß heraus, wenn er nach den Stärken des französischen Meisters gefragt wird.
Neben der Dominanz über Ballbesitz muss sein Team lernen, auch aus dem Spiel gegen den Ball heraus, Spiele zu gestalten. Eine noch größere mannschaftliche Geschlossenheit und taktische Flexibilität dürften als Zielsetzungen für die kommende Spielzeit auf dem Zettel des Trainers stehen.
Fehlende Bausteine
Wer das Dreier-Mittelfeld mit Vitinha, Joao Neves und Fabian Ruiz in der Allianz Arena rotieren sah, kommt womöglich auf die Idee, dass der klassische Sechser, die strategisch wichtigste Position der vergangenen Jahre, bald entbehrlich sein könnte. Die Tendenz geht zu Flexibilität statt starrer Rollenverteilung.
Beim VfB bestritt das zentrale Mittelfeld-Duo Karazor – Stiller fast alle Pflichtspiele, die zweite Reihe kam nicht an das Leistungsniveau der beiden heran. Ein Abgang von Enzo Millot würde den Handlungsbedarf auf dieser Position weiter erhöhen. Gesucht ist ein spielstarker, flexibler Mittelfeldspieler mit strategischem Talent – ein anspruchsvolles Anforderungsprofil.
Im Spiel gegen den Ball muss der VfB in der kommenden Saison auf jeden Fall zulegen, wenn er in seiner fußballerischen Entwicklung weiterkommen will. Dafür benötigt man zunächst eine stabile Restverteidigung. Die beiden Nachwuchsspieler Jeltsch und Jaquez haben sicher das Potenzial, neben Abwehrchef Chabot in diese Rolle hineinzuwachsen. Ob Zagadou noch einmal an sein bestes Niveau herankommt, ist fraglich.
Ein Grund für den Kontrollverlust in einigen Spielen der Rückrunde lag unter anderem in der unzureichenden Qualität des Angriffspressings. Paris Saint Germain stellt auch hier die Benchmark dar: Das Offensivtrio Dembelé, Doué und Kvaratskhelia stresste die erfahrene Inter-Abwehr am Samstag dermaßen, dass die Italiener nie ins Spiel fanden. Im Angriff fehlt Sebastian Hoeneß vor allem ein schneller Spieler, der die Tiefe attackieren kann. Leihspieler El Bilal kam auch aufgrund seiner Fußverletzung nie über Ansätze hinaus.
Auf einem guten Weg
Wenn man ein bisschen aus den fußballtaktischen Details herauszoomt und den Kub als Ganzen betrachtet, gibt es viele positive Erkenntnisse. Die Verantwortlichen haben offensichtlich aus Fehlern der Vergangenheit gelernt.
Gerade während der Durststrecke zwischen Februar und April bewies sich das Band zwischen Mannschaft und Fans als widerstandsfähig. Die Anhänger vertrauen sowohl dem Trainer als auch der Mannschaft und tragen den Weg der Vereinsführung mit. Hilfreich sind dabei natürlich die Erfolge der Nachwuchsteams und der Frauenmannschaft. Der Brustring ist wieder zum Aushängeschild einer Region geworden, in der nur das Beste gut genug ist.
Öffentlich kritisierte Entscheidungen wie der Trikotsponsor Winamax oder die Marketing-Reise in der Saisonvorbereitung kommen auf den Prüfstand und werden gegebenenfalls korrigiert. Strategische Kontinuität führt zu nachhaltigen Strukturen, die ein Klub wie der VfB benötigt, um sich gegen die finanziell besser ausgestattete Konkurrenz aus dem In- und Ausland zu behaupten.
Beim VfB gibt es keine Stars wie Dembélé. Doch den Protagonisten der Schwaben sei für die kommende Saison geraten: Lauft die gegnerische Abwehr an, als sei es das Letzte, was ihr tut. Denn das erwartet der Trainer von euch.
Zum Weiterlesen und Weiterhören:
Vor dem DFB-Pokal-Finale: VfB-Trainer Sebastian Hoeneß im Interview – Sport – SZ.de
PSG gewinnt Champions League: Luis Enrique und der 5:0-Sieg in München – Sport – SZ.de
Podcast zum Pokalsieger VfB: „In Stuttgart staunen sie selber über sich“ – Sport – SZ.de
reybucanero74
Mein erstes Spiel im Stadion: 1980 VfB – HSV 3:2 (Tore: Müller, Kelsch, Allgöwer) Mein schönstes Stadionerlebnis: 1991 VfB – BVB 7:0 (Allgöwer 2, Sverrisson 3, Walter 2) Meine erste Auswärtsfahrt: 1991 BVB – VfB 0:0 Emotionalster Erfolg: 1992 Deutscher Meister, letzter Spieltag B04 – VfB 1:2 (Tore: Walter, Buchwald) Lieblingsspieler: Helmut Roleder, Asgeir Sigurvinsson