Nach siebzehn Jahren
Duelle gegen den FC Bayern sind seit vielen Jahren nicht mehr als Streichergebnisse. Keine Spannung, kein Spaß, keine Überraschung. Im November 2007 hat der VfB zuletzt im Neckarstadion gegen den Rekordmeister gewonnen. Danach folgten 17 dürre Jahre mit teilweise deprimierenden Ergebnissen. 0:5 ging man beispielsweise in der Saison 21/22 unter. Innerhalb von 20 Minuten trafen Gnabry und Lewandowski je zwei Mal. „Dass die Torschützen ganz in Rot fast emotionslos zur Mittellinie zurücktraben, kennen wir sonst nur von Trainingsspielen“, hieß es im Blogeintrag seinerzeit. Doch am Samstag kommt alles ganz anders.
Die Ruhe bewahrt
Das Überraschungsteam von Sebastian Hoeneß beginnt auch gegen die Bayern dominant. Die Spieler in den dunklen Trikots mit den violetten Streifen versammeln sich vor dem eigenen Strafraum, um den 70-Tore-Sturm im Brustring zu kontrollieren. Die Schüsse von Führich (10.) und Guirassy (28.) können Neuer mit einer Flugeinlage und Dier per Kopf noch entschärfen, bevor Undav mit Rechtsverteidiger Stergiou Doppelpass spielt: Der Schweizer U21-Kapitän vollstreckt im Stile eines Torjägers (29.).
Dass es mit einem 1:1 in die Pause geht, hat der Champions-League-Halbfinalist allein Gnabrys Flugeinlage im Stuttgarter Strafraum zu verdanken. Anton solle ihn mit der Hand am Kopf getroffen haben, behauptet der ehemalige VfB-Jugendspieler. Schiedsrichter Welz und Video-Referee Brand fallen auf „Flying-Serge“ herein und ermöglichen Harry Kane sein fünftes Saisontor vom Elfmeterpunkt – Nummer 36 insgesamt.
In der zweiten Hälfte kommt das Tuchel-Team etwas besser ins Spiel. Choupo-Moting (48.), Kane (69.) und Zaragoza (74.) hätten den Spielverlauf auf den Kopf stellen können. Doch der VfB hat in den letzten Monaten gelernt, auch in solchen Spielphasen die Ruhe zu bewahren. Der kleine Woo-Yeong Jeong per Kopf (83.) und Silas nach starkem Einsatz von Guirassy (90.+3) sorgen schließlich für die Entscheidung.
In einem nicht gerade hochklassigen Spitzenspiel behält der VfB am Ende verdient die Punkte in Bad Cannstatt. Vier Tage vor dem Halbfinale in Bernabeu muss Thomas Tuchel zur Kenntnis nehmen, dass seine B-Elf dem Tabellendritten der Bundesliga in allen Belangen unterlegen ist. Sein Gegenüber darf sich nach dem Schlusspfiff dagegen feiern lassen. Hoeneß hat aus einem verunsicherten Schlusslicht in nur einem Jahr eine Spitzenmannschaft geformt, die jeden Gegner schlagen kann.
Der Star ist die Mannschaft
Es fällt nicht leicht, aus der Mannschaft im Brustring einzelne Spieler hervorzuheben. Wie schon in den vergangenen Wochen zeigen die Hoeneß-Schützlinge erneut eine geschlossene Mannschaftsleistung. Besonders zu überzeugen wissen am Samstag die beiden Außenverteidiger in der Viererkette. Leonidas Stergiou und Hiroki Ito halten nicht nur Tel und Gnabry in Schach, sondern schalten sich auch immer wieder gefährlich ins Angriffsspiel ein.
Garanten für den 21. Saisonsieg sind diesmal nicht die üblichen Verdächtigen, sondern Spieler, die bisher selten im Mittelpunkt standen. Stergiou und Jeong treffen jeweils zum ersten Mal im Brustring, während Silas seine über sechsmonatige Torflaute beendet.
Wir dürfen gespannt sein, welche Rolle die drei Torschützen in der kommenden Saison einnehmen werden. Der 22-jährige Schweizer mit griechischen Wurzeln hat sich in den vergangenen Wochen einen Stammplatz erarbeitet. Kann die sportliche Leitung ihm eine Perspektive aufzeigen und die gewünschte Spielpraxis in Aussicht stellen? Jeong und Silas werden auch in Zukunft kaum über die Rolle als Ergänzungsspieler hinauskommen. Vor allem dem Publikumsliebling aus dem Kongo dürfte das überhaupt nicht schmecken. Ein Wechsel könnte seiner Karriere förderlich sein.
Letzte Ziele
Sportlich hat der VfB in dieser Saison schon jetzt mehr erreicht, als man zu träumen gewagt hat. Trotzdem bleiben noch einige Ziele, die sich das Trainerteam und die Mannschaft setzen können: Für die Vizemeisterschaft müsste man 2 Punkte und 15 Tore auf den FC Bayern aufholen, zur Sicherung von Platz 3 genügt ein weiterer Sieg. Um den Punkterekord (70 Punkte) aus der Meistersaison 2006/07 zu übertreffen, benötigt das Hoeneß-Team noch 4 Punkte, für den Torrekord (78 Tore) aus der Spielzeit 1996/97 weitere 6 Treffer. Serhou Guirassy (25 Tore) würde in der Torschützenliste gerne Lois Openda (24) auf Distanz halten, Deniz Undav (18 Tore/10 Vorlagen) könnte seinen Sturmpartner (25/4) noch bei den Scorerpunkten überholen.
Viel wichtiger als alle diese Rekorde und Statistiken ist allerdings der würdige Ausklang einer Saison, die noch lange in Erinnerung bleiben wird. Die sportliche Leitung und das Team um das Team dürfen jetzt beweisen, dass sie auch anständige Partys organisieren können.
VfB Stuttgart – FC Bayern München 3:1
reybucanero74
Mein erstes Spiel im Stadion: 1980 VfB – HSV 3:2 (Tore: Müller, Kelsch, Allgöwer) Mein schönstes Stadionerlebnis: 1991 VfB – BVB 7:0 (Allgöwer 2, Sverrisson 3, Walter 2) Meine erste Auswärtsfahrt: 1991 BVB – VfB 0:0 Emotionalster Erfolg: 1992 Deutscher Meister, letzter Spieltag B04 – VfB 1:2 (Tore: Walter, Buchwald) Lieblingsspieler: Helmut Roleder, Asgeir Sigurvinsson