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Nach dem Funktionärs-Domino

Wie oft haben wir uns genau das gewünscht? Einen gesicherten Platz im Mittelfeld und eine gepflegte Sorglosigkeit an Spieltagen. Gestern konnten wir uns getrost der Familie, der Leibesertüchtigung oder dem Frühjahrsputz widmen, während die Partie in Köln Müngersdorf vor sich hindämmerte. Kontrastprogramm zu vergangenem Wochenende, als wir im Minutentakt die Nachrichtenlage prüften.

Am Sonntagabend kurz nach der Tagesschau löst sich der Knoten schließlich in Form einer Schlagzeile: Vereinsbeirat nominiert Claus Vogt. Danach folgt das Cannstatter Funktionärs-Domino. Insgesamt acht Führungskräfte werden abberufen oder treten zurück: zwei Vorstände, zwei Präsidiumsmitglieder, zwei Aufsichtsräte und zwei Vereinsbeirät:innen. Außerdem lässt der ehemalige Vorsitzende des Vereinsbeirats sein Amt ruhen. Alle, die es mit dem VfB halten, haben das Ende des Eskalations-Stakkatos herbeigesehnt.

Doch schon beginnt der Kampf um die Deutungshoheit. Strebt der Präsident nun die Alleinherrschaft an? Welche Folgen hat der Machtkampf für den Vorstandsvorsitzenden? Welchen Weg soll der VfB in Zukunft einschlagen? Die Diskussion dreht sich um Fehler- und Streitkultur und um einen gemeinsamen Wertekanon. In der hitzigen Atmosphäre mangelt es manchen Debattenbeiträgen an Sachlichkeit. Der Versuch einer Einordnung.

1. Alleinherrschaft?

Claus Vogt setzt sich vehement für eine lückenlose Aufklärung der Geschehnisse rund um die Ausgliederung ein. Damit hat er sich viele Feinde gemacht, von denen einige inzwischen den Rückzug antreten mussten. Eines dürfen wir aber nicht durcheinanderbringen: Nicht der Aufklärer ist der Unruhestifter, sondern diejenigen, die das Recht und die Werte des Vereins mit Füßen getreten haben.

Wenige Tage nach der Abwehr eines dreisten Putschversuchs wirkt die Warnung vor einer drohenden Alleinherrschaft reichlich konstruiert. Die verbliebenen Gremienmitglieder sind keineswegs Marionetten des Präsidenten, nur weil sie ihn in seinem Kampf für Transparenz unterstützt haben. Die gleichen Werte zu vertreten, bedeutet nicht, zu allem Ja und Amen zu sagen.

In den kommenden Wochen und Monaten muss der Präsident beweisen, dass er in der Lage ist, eine gesunde Streitkultur zu etablieren. Bisher gibt es für mich keinen Grund, daran zu zweifeln. Die erneute Verschiebung der Mitgliederversammlung samt Wiedereröffnung des Bewerbungsverfahrens sind erste Schritte in die richtige Richtung.

Auch alle diejenigen, die von jener Alleinherrschaft fabulieren, können nun ihre Bewerbungsunterlagen für die zahlreichen Wahlen bei der nächsten Mitgliederversammlung einreichen. Über das Auswahlverfahren der Kandidaten, das derzeit in der Satzung festgeschrieben ist, wird an gleicher Stelle zu diskutieren sein.  

Eines sei den Schlensogs und anderen Wichtigtuern allerdings ins Stammbuch geschrieben: Wer die Amtszeit von Wolfgang Dietrich mit allen ihren hässlichen Begleiterscheinungen klaglos akzeptiert oder sogar unterstützt hat, macht sich unglaubwürdig, wenn er ausgerechnet jetzt sein Faible für Demokratie entdeckt. 

2. Fehler- und Streitkultur

Die Etablierung einer gesünderen Fehlerkultur wurde zuletzt auch von großen Konzernen der Automobilindustrie angekündigt. Dort stehen die überholten hierarchischen Strukturen und eine falsch verstanden Loyalität der Mitarbeiter im Mittelpunkt der Kritik. Ähnlich wie beim VfB geht es dabei vor allem um Glaubwürdigkeit. Der erste Schritt ist nämlich, eigene Fehler einzugestehen und glaubhaft darzulegen, wie man sie in Zukunft zu vermeiden gedenkt.

Damit kommen wir zu Thomas Hitzlsperger. Bei der Bewertung seiner Rolle in der größten Führungskrise des Klubs gehen die Meinungen auseinander. Die einen sehen ihn als unerfahrenes Opfer schlechter Berater, dessen unbestrittene Errungenschaften für den VfB nicht vergessen werden dürfen. Andere messen ihn an den Anforderungen seines Amtes als Chef eines 150-Millionen-Unternehmens. Der öffentliche Frontalangriff auf den Aufsichtsratsvorsitzenden – ein No-Go, die Scheinkandidatur – fehlender Respekt vor der Würde des Präsidentenamtes, das Krisenmanagement – eine einzige Katastrophe.

Schwerwiegende persönliche Verfehlungen bei der Aufarbeitung der Geschehnisse konnten dem Vorstandsvorsitzenden bisher nicht nachgewiesen werden. Der Aufsichtsrat hat ihn jedoch nicht nur deshalb einstimmig entlastet, sondern wohl auch, weil man ihm den Neuaufbau der verkrusteten Strukturen zutraut. Der Brandstifter als erster Feuerwehrmann, sagen böse Zungen. Viele haben ihren Hitz aber auch schon wieder ganz arg lieb.

Claus Vogt tut ebenfalls gut daran, seine bisherige Amtszeit kritisch zu reflektieren. Welche Ziele konnte er erreichen? Wo muss er seine Herangehensweise verändern oder Prioritäten neu setzen? Sollte es gelingen, bald wieder konstruktive Sachdebatten zu führen, muss die Überarbeitung der Satzung im Vordergrund stehen. Der neue Vorsitzende des Vereinsbeirats Rainer Weninger leitet die entsprechende Kommission und kann sich gewiss nicht über mangelnde Arbeit beklagen.

Bei der Investorensuche muss sich der Präsident den veränderten Rahmenbedingungen anpassen und den Dialog mit der AG konstruktiver gestalten. Eines seiner Lieblingsprojekte – die Gründung einer Fanabteilung – beobachten die Kritiker jetzt erst recht mit Argusaugen. Nicht nur wegen seiner Nähe zum ehemaligen Geschäftsführer des Hamburger Kiezclubs wirft ihm der Boulevard vor, den VfB zum St. Pauli des Südens zu machen. So absurd diese Vorhaltungen auch sein mögen, Claus Vogt sollte sich daran erinnern, dass die Schwaben eher zum Lällabäbbl als zum Revoluzzer tendieren.

3. Wertekanon

Auch wenn sich der Sturm an der Mercedesstraße gelegt zu haben scheint, fehlt noch das entscheidende Puzzleteil, um dieses unerfreuliche Kapitel der Vereinsgeschichte abzuschließen: die Veröffentlichung des Esecon-Berichts. Der Präsident steht bei Mitgliedern und Fans im Wort, mit den Untersuchungsergebnissen so transparent wie irgend möglich umzugehen.

In seiner letzten Stellungnahme war zwischen den Zeilen zu lesen, dass noch nicht alle Enthüllungen öffentlich bekannt sind. Die schon fast vergessenen Unregelmäßigkeiten bei der Abstimmung über die Ausgliederung drohen den Klub noch einmal heftig zu erschüttern. Wie zwei langjährige Beobachter in ihren lesenswerten Beiträgen andeuten, könnte noch so mancher Albtraum bevorstehen und den hartnäckigen Aussitzern der Arsch ganz schön auf Grundeis gehen.

Nach dem Rücktritt des Sonnenkönigs wurde von Werten gesprochen, die wieder Grundlage des Handelns im Klub sein sollten. Heute wissen wir, dass es sich nur um hohle Phrasen handelte. Intrigen und Zwietracht prägen die Stimmung auf der Geschäftsstelle. Die öffentliche Kommunikation ist mit Desaster noch freundlich beschrieben. Die meisten Informationen haben wir in den letzten Wochen aus der Presse erhalten, wobei sich eine Seite fast ausschließlich beim Boulevard ausweinte.  

Sobald die überfällige Kündigung von Oliver Schraft vollzogen ist, braucht der VfB einen kompletten Neustart in diesem Bereich. An Stelle der unheiligen Allianz mit der Bild-Zeitung ist eine verantwortungsvolle Medienarbeit vonnöten, die Mitglieder und Fans mitnimmt und nicht ständig aufs Neue vor den Kopf stößt.

Die Liste der Werte, die wiederbelebt werden müssen, ist ziemlich lang. Einen kann sich die Teppichetage gleich bei der Mannschaft abgucken. Wenn es mal nicht so fluffig läuft, dann gilt es zusammenzuhalten und pragmatisch zu sein: Flanke Sosa, Sasa Kopfball, Tor. Da gibt´s dann keinen Orden dafür, aber wichtige drei Punkte.

1. FC Köln – VfB 0:1

Mein erstes Spiel im Stadion: 1980 VfB – HSV 3:2 (Tore: Müller, Kelsch, Allgöwer) Mein schönstes Stadionerlebnis: 1991 VfB – BVB 7:0 (Allgöwer 2, Sverrisson 3, Walter 2) Meine erste Auswärtsfahrt: 1991 BVB – VfB 0:0 Emotionalster Erfolg: 1992 Deutscher Meister, letzter Spieltag B04 – VfB 1:2 (Tore: Walter, Buchwald) Lieblingsspieler: Helmut Roleder, Asgeir Sigurvinsson

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