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Eine schrecklich nette Familie

Thomas Hitzlsperger – wunderbar. Die beiden Präsidentschaftskandidaten – wunderbar. Ja! Alle auf dem Podium – wunderbar. Wir Mitglieder – … ihr ahnt es. Dieses Mal sehen wir keinen Agententhriller, bei dem der Schurke die Bühne im Schlussakt fluchtartig verlässt, dieses Mal finden wir uns in einem harmonischen Familienfilm wieder, mit viel vorweihnachtlicher Liebe, einigen Schmunzlern und einem strahlenden (Santa) Claus, der alle in den Arm nimmt.

Zunächst kann es schon verwundern, wie gelöst die Stimmung bei einem Verein ist, der den Anspruch hat, oben zu stehen, aber derzeit mühsam durch die zweite Liga stolpert. Hätte der Kölner Keller vor einer Woche den regelwidrigen Oberarmeinsatz eines Gegners nicht nachträglich geahndet, wäre statt eines neuen „Bierpartners“ am Sonntag vielleicht ein neuer Cheftrainer präsentiert worden. Wie wunderbar die Mitglieder das gefunden hätten, könnt ihr euch ausmalen.

Insofern liegt auch das Montagsspiel am Bölle ausnahmsweise ganz günstig, denn mit der frischen Erinnerung an ein weiteres vergebliches Anrennen gegen einen äußerst biederen Gegner wäre die Grundstimmung sicher eher gereizt gewesen.  

Anders als die Mannschaft auf dem Platz wachsen in der Schleyerhalle plötzlich viele über sich hinaus. Der nicht gerade als Witzkanone bekannte Dr. Bernd Gaiser führt phasenweise fast humorig durch die zwölf Punkte der Tagesordnung. Der im Wahlkampf gelegentlich unglücklich agierende Christian Riethmüller begeistert den Saal mit einer leidenschaftlichen Bewerbungsrede (→ siehe auch Blogeintrag Gedankenvoll). Der Tischtennisspieler Sebastian Brunner nimmt allen Mut zusammen und hält ein eindrucksvolles Plädoyer für Inklusion. Hut ab, VfB, für eine starke Mannschaftsleistung auf dem Parkett. Aber wie in der Liga müsst ihr die Dinger jetzt halt auch reinmachen.

So wie Gomez, nur halt ohne Abseits. Hundert Messis will Mario deswegen kaufen. Bullshit, es würde schon ein Funke Inspiration reichen, um eine Arbeitertruppe wie die gestrige klar in die Schranken zu weisen. Oder ein funktionierendes Spielsystem. Ich möchte die gemütliche Adventsstimmung ungern crashen, aber die bei der Mitgliederversammlung immer wieder besungene Sportkompetenz im Club muss doch auch erkennen, dass man so auf keinen grünen Zweig kommt – um im weihnachtlichen Bild zu bleiben.

„Der nächste Präsident muss sitzen“, merkt ein Redner bei der allgemeinen Aussprache an, und siehe: Da steht Claus Vogt. Ein solider Auftritt reicht ihm, um die im Vorfeld gesammelten Sympathien in einen Wahlsieg zu verwandeln. Knapp 65 % sind kein Traumergebnis, aber deutlich besser als Dietrichs 57 % ohne Gegenkandidaten. Eigentlich ist ein Vergleich mit dem Vorgänger sowieso sinnlos. Zu unterschiedlich sind Persönlichkeit, Ausgangslage und Zielsetzung der beiden. Allerdings wird auch der neue Präsident in den nächsten Monaten unter strenger Beobachtung stehen. Hoch liegt die Latte, die er sich mit seinen Ankündigungen im Wahlkampf selbst gelegt hat. Absichtserklärungen müssen in konkrete Entscheidungen und Projekte münden, denn mit vielen Vorschusslorbeeren bedachte Neuanfänge gab es in der Vergangenheit genug (→ siehe auch Blogeinträge von Vertikalpass und Rund um den Brustring).  

Was von der außerordentlichen Mitgliederversammlung hängen bleibt, ist das allgemeine Streben nach Teamplay, Austausch und Beteiligung. Dazu kommt die Verjüngung der Verantwortungsträger: Das VfB-Urgestein Hans Pfeifer ist gegen seinen gut 25 Jahre jüngeren Gegenkandidaten um die vakante Stelle im Vereinsbeirat chancenlos; im neuen Präsidium und Vorstand sucht man vergeblich nach einem über 60-Jährigen. Die Mitglieder goutieren, dass sich auch in der Führungsetage wieder mehr „junge Wilde“ tummeln.

Viel wird jetzt davon abhängen, wie gut der neue Präsident und der ebenfalls erst kürzlich berufene Vorstandsvorsitzende zusammenarbeiten. Bei der Auswahl zusätzlicher Investoren oder der Modernisierung der Infrastruktur darf Hitzlsperger auf das Knowhow seines Gegenparts vertrauen, umgekehrt tut Vogt gut daran, sich aus sportlichen Fragen weitestgehend herauszuhalten. Offen bleibt, inwieweit der frische Wind im Verein auch den Aufsichtsrat durchlüftet. Kann der neue Vorsitzende seine Vorstellung von einem funktional besetzten Gremium mit kompetenten Beratern für alle Bereiche der AG durchsetzen? Wie groß ist der Einfluss der Seilschaften um den ominösen VfB-Freundeskreis tatsächlich? Und wie stark fließt die neu angestoßene Beteiligung der Mitglieder am Ende in die Entscheidungen ein?

Die Mitglieder fahren am Sonntagabend mit einem Lächeln zurück an die heimatlichen Adventskränze (→ siehe Podcast VfB STR feat. Nachspielzeit). Gestern dürfte es einigen aber wohl schon wieder vergangen sein. Harmonie allein bringt den VfB nicht weiter. Es wird höchste Zeit, dass man etwas von der Entwicklung sieht, die Trainer Walter bei den vielen jungen Spielern und der Mannschaft als Ganzes anstoßen soll. Unsere neue Doppelspitze in Verein und AG will es in Zukunft nämlich wieder mit furchteinflößenderen Schurken aufnehmen als mit Darmstadt 98 oder ein paar unbedarften Anträgen auf Satzungsänderung.        

SV Darmstadt 98 – VfB 1:1

Mein erstes Spiel im Stadion: 1980 VfB – HSV 3:2 (Tore: Müller, Kelsch, Allgöwer) Mein schönstes Stadionerlebnis: 1991 VfB – BVB 7:0 (Allgöwer 2, Sverrisson 3, Walter 2) Meine erste Auswärtsfahrt: 1991 BVB – VfB 0:0 Emotionalster Erfolg: 1992 Deutscher Meister, letzter Spieltag B04 – VfB 1:2 (Tore: Walter, Buchwald) Lieblingsspieler: Helmut Roleder, Asgeir Sigurvinsson

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