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Der VfB sucht sich selbst

Schon am 8. Januar starteten die Cannstatter mit einem torlosen Unentschieden bei der abgeschlagenen Spielvereinigung Greuther Fürth ins Fußballjahr 2022. Der Kalender musste gleich zu Jahresbeginn eng getaktet werden, damit der ganze Zirkus Mitte November in die Wüste fliegen kann.

Die Mannschaft stand nach der Hinrunde mit 17 Punkten auf dem Relegationsplatz. CEO der VfB AG war damals noch Thomas Hitzlsperger, der vor der Partie im Fränkischen kommentierte: „Das Entscheidende ist, dass wir alle im Verein Vertrauen in die Mannschaft und die sportliche Führung haben. Es braucht keine Korrekturen“. Sportdirektor Sven Mislintat wollte nach der dürftigen Leistung in Fürth „ein ordentliches Spiel“ gesehen haben.

Gut 10 Monate später belegt der VfB mit 14 Punkten aus 15 Spielen wieder den Relegationsrang. Das letzte Spiel vor der Katar-Pause zeigt die Defizite der Weiß-Roten noch einmal deutlich auf. Trotzdem ist Interimstrainer Wimmer hinterher „stolz auf das, was die Mannschaft heute geleistet hat“. In punkto Schönfärberei erreicht er damit bereits locker das Niveau, das seine Vorgesetzten vorgelegt haben.

Moussa Diaby düpiert die ganze VfB-Hintermannschaft. (Bild: Christof Koepsel/Getty Images)

Ein furchtbar schlechtes Spiel

Selten sieht man in der Bundesliga Spiele, in denen keine der beiden Mannschaften nach vorne spielen will. Xabi Alonso hat seine Schützlinge wohl angewiesen, nach Ballgewinn ausschließlich quer oder zurück zu passen, Michael Wimmer muss seinerseits das letzte Drittel zur verbotenen Zone erklärt haben. In der ersten Hälfte unternimmt sein Team noch nicht einmal den zarten Versuch einer Torannäherung.  

In Leverkusen bekommen die Fans vor Augen geführt, wie mühsam das Aufbauspiel ohne den stets anspielbaren Borna Sosa läuft, wie unverzichtbar Wataru Endo als Stabilisator und Initiator geworden ist. Die Mannschaft zeigt sich überfordert, die beiden Eckpfeiler des VfB-Spiels zu ersetzen.

So erreicht das zentrale Mittelfeld aus Karazor, Ahamada und Millot zu keinem Zeitpunkt Bundesliganiveau. Fehlendes Tempo, unsicheres Stellungsspiel, zahlreiche Ballverluste, kaum strukturierte Offensivaktionen – in der zweiten Hälfte muss sich die Sturmspitze Guirassy immer wieder tief fallen lassen, um das Spiel anzukurbeln.

Die Liste der Indisponierten könnte man noch eine Weile fortsetzen. Was am Ende bleibt, ist eine verdiente Niederlage gegen eine Bayer-Elf, die dermaßen uninspiriert auftritt, dass sich keiner mehr über den katastrophalen Saisonstart wundern darf. Die Mannschaft mit dem Brustring verliert also auch ihr letztes Auswärtsspiel 2022 und schwingt sich gleich zum doppelten Rekordhalter auf: auswärts zum ersten Mal in einem Kalenderjahr sieglos und zu Hause seit 29 Spielen nie ohne Gegentor.

Zeit für Entscheidungen

Alle diejenigen, die in der VfB AG für den Bereich Sport verantwortlich zeichnen, müssen sich angesichts dieser Bilanz hinterfragen. Alexander Wehrle kündigt im Interview nach dem Spiel an, dass er die geplante Katar-Reise absagen werde, um die anstehenden Entscheidungen zu treffen. Der VfB habe jetzt Priorität. Man könnte fast meinen, der gute Mann hätte nicht Ende März seine Ämter an der Mercedesstraße übernommen sondern erst vor wenigen Tagen.

Sven Mislintat hat sich dagegen schon nach dem Last-Minute-Heimsieg unter der Woche in der Trainerfrage festgelegt: Er werde den ehemaligen Assistenten von Matarazzo für eine Festanstellung als Cheftrainer vorschlagen, so er denn überhaupt noch mitzusprechen habe. Seine haarsträubende Begründung: Mit dem unter Wimmer erreichten Punkteschnitt werde man – hochgerechnet auf die Restrunde – den Klassenerhalt schaffen.

Sportvorstand Wehrle und seine Berater werden dieser Empfehlung aller Voraussicht nach nicht folgen. Zu schwankend sind die Leistungen auch nach dem Trainerwechsel, zu wenige neue Impulse sind von einem Trainer zu erwarten, der die Negativbilanz des abgelaufenen Jahres ja als Co-Trainer mit zu verantworten hat. In der Pressekonferenz vor dem Spiel fällt dem Coach auf die Frage eines Journalisten, wie er denn in Zukunft für mehr Stabilität sorgen wolle, nichts Besseres ein als: „Indem wir so weiterarbeiten wie bisher (…) und uns auswärts auch einmal belohnen“. Überzeugt haben er und seine Mannschaft an diesem Wochenende wohl keinen.

In den Verhandlungen über einen neuen Vertrag für Sven Mislintat wird es neben den Kompetenzen des Sportdirektors auch darum gehen, wie der VfB im neuen Jahr erfolgreicher werden kann. Nicht wenige meinen, dass sowohl ein neuer Trainer mit einer passenden Spielidee als auch die eine oder andere Neuverpflichtung auf dem Transfermarkt erforderlich seien. Mit dem Kader, der am Samstag in der BayArena zur Verfügung stand, wird man die Saisonziele kaum erreichen. Ob die Verhandlungsparteien in all diesen Fragen Übereinstimmung erzielen können, erscheint fraglich.

Vertrauen in die Führung?

Zu Vertrauen in die sportliche Führung rief Thomas Hitzlsperger zu Beginn des Jahres auf. Zwei Wochen vor dem ersten Advent hakt es in den Entscheidungsstrukturen der AG gewaltig. Zusammenhalt, Transparenz, klare Entscheidungen – nach den vermeintlichen Prinzipien des neuen VfB kann man auf der Führungsebene derzeit lange suchen. Falls die Herren Wehrle und Mislintat ihre Meinungsverschiedenheiten nicht im Sinne des Klubs ausräumen können, steht das neu gewählte Aufsichtsgremium in der Pflicht, die Protagonisten an ihre Aufgaben zu erinnern. Am Ende eines schwierigen Jahres sucht der VfB Stuttgart also wieder einmal nach sich selbst.

Bayer 04 Leverkusen – VfB Stuttgart 2:0

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Der VfB wollte gar nicht gewinnen – Vertikalpass

Mein erstes Spiel im Stadion: 1980 VfB – HSV 3:2 (Tore: Müller, Kelsch, Allgöwer) Mein schönstes Stadionerlebnis: 1991 VfB – BVB 7:0 (Allgöwer 2, Sverrisson 3, Walter 2) Meine erste Auswärtsfahrt: 1991 BVB – VfB 0:0 Emotionalster Erfolg: 1992 Deutscher Meister, letzter Spieltag B04 – VfB 1:2 (Tore: Walter, Buchwald) Lieblingsspieler: Helmut Roleder, Asgeir Sigurvinsson

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