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Der Unendliche

Bei der Diskussion über die Saison 2021/22 des VfB Stuttgart taucht immer wieder das Thema Ausfälle auf. Verletzungen und Corona-Infektionen haben nämlich dazu geführt, dass die Mannschaft nie in der vermeintlichen Bestbesetzung auflaufen konnte. Nach dem letzten Spieltag müssen wir aber über einen Spieler sprechen, dessen Faszination und Stärke sich aus seiner Konstanz und Willensstärke speist. 49 Pflichtspiele hat er in dieser Saison für den Brustring und sein Heimatland absolviert, nur 158 Minuten im VfB-Trikot verpasst und über hunderttausend Flugmeilen gesammelt. Erhebt euch und applaudiert für Wataru Endo, den Unendlichen.

Der Kapitän, er lebe hoch, hoch, hoch. (Foto: Pressefoto Baumann/Hansjürgen Britsch)

Nachspielzeit statt Nachsitzen

Es laufen die letzten Minuten des 34. Spieltags. Der VfB steht auf Platz 16, der für den Bundesligisten zwei Mal Nachsitzen gegen den Dritten der zweiten Liga bedeutet. Lieber Nachsitzen als Sitzenbleiben, hieß es immer wieder aus der Führungsetage. Nach einer Saison, in der vieles schief gelaufen ist, muss man nehmen, was man kriegt.

Dann kommt die Nachricht aus Dortmund: Moukoko hat die Führung für den BVB erzielt. Magaths Hertha kann auch den dritten Matchball nicht verwandeln und eröffnet den Weiß-Roten damit die große Chance. Mit einem einzigen Tor kann sich das Team von Pellegrino Matarazzo doch noch ans rettende Ufer klammern. 3060 Minuten ist die Saison alt, als es vor voll besetztem Neckarstadion in die Nachspielzeit geht.

Der Moment, als alle Dämme brechen. (Foto: vfb.de)

Nein, das ist kein Actiondrama und wir sitzen nicht im Kinosessel. Die Schüssel brodelt und vibriert. Spielen uns die Augen einen Streich oder taucht da gerade der Kapitän im Strafraum ab und befördert die Kugel unters Tordach? Flimmern, Dröhnen, Körper fliegen durch die Luft. Fritzle liegt oben, Matarazzo ganz unten. Es ist vollbracht.

Wenn die ganze Kurve tobt

Wie ist es möglich, dass der VfB auf den allerletzten Drücker doch noch den direkten Klassenerhalt schafft? Eine Antwort lautet: Weil die Mannschaft in den letzten beiden Spielen das zeigt, was wir im Saisonverlauf viel zu selten gesehen haben –  den unbedingten Willen zu siegen.

Ein weiterer Grund ist fraglos die Schwäche der Konkurrenz. Arminia Bielefeld stürzte Mitte Februar nach dem Heimsieg gegen Union Berlin ab, Hertha holte aus den letzten drei Spielen nur einen Punkt. Dass 33 Punkte für Platz 15 reichen würden, hätte man nach der Hinrunde nicht für möglich gehalten.

Nicht hoch genug kann man den Beitrag der VfB-Fans zum Klassenerhalt schätzen. Seit dem Auswärtsspiel in Hoffenheim hat der Anhang eine stimmungsvolle und stimmgewaltige Tournee hingelegt, die der Mannschaft immer und überall bedingungslose Unterstützung bescherte. Die alten Märchen vom anspruchsvollen Stuttgarter Publikum können wohl zu den Akten gelegt werden. Heute wird Platz 15 gefeiert wie eine Meisterschaft.

Aufarbeitung der Saison

Am Donnerstag sorgt Alexander Wehrle mit einem Pressegespräch für Schlagzeilen. Dabei hat er eigentlich gar nichts gesagt, was die Aufregung rechtfertigen würde. Es sei denn, man ist überrascht, dass der Vorstandsvorsitzende dem Sportdirektor und Cheftrainer zwei Tage vor dem Saisonfinale mit ungewissem Ausgang keine Jobgarantie ausspricht.

Die Tatsache, dass die erste und auch die zweite Mannschaft dem drohenden Abstieg am Ende gerade noch einmal von der Schippe gesprungen sind, darf nicht übertünchen, dass viele Pläne der sportlichen Führung nicht aufgegangen sind. Die Zusammenstellung der Kader, die Entwicklung einzelner Spieler, die Arbeit der Trainerteams, all das wird in den kommenden Wochen gemeinschaftlich analysiert werden. Das ist professionell und unbedingt notwendig, um den eingeschlagenen Weg zu justieren.

Niemand beim VfB – da bin ich mir sehr sicher – möchte auf das Know-How und auf das Herzblut verzichten, das Sven Mislintat in das Projekt in Bad Cannstatt investiert. Seine Qualitäten kommen aber nur dann zur Geltung, wenn sie in ein funktionierendes Team eingebettet sind. Das werden die Verantwortlichen nach Hitzlspergers Abschied jetzt gemeinsam zusammenstellen. Die Führung muss dabei qua seines Amtes Alexander Wehrle übernehmen, denn er trägt seit dem 1. April die Gesamtverantwortung für die VfB Stuttgart AG.

Abbruch vor dem Umbruch

Mit Schalke und vielleicht Bremen und dem HSV wird die Bundesliga in der kommenden Saison noch härter umkämpft sein. Die Verantwortlichen an der Mercedesstraße müssen dem Trainer einen Kader hinstellen, der diesem Wettkampf gewachsen ist. Dass Talent dabei nur einer von vielen Faktoren ist, haben wir in der abgelaufenen Saison gesehen.

Einige namhafte Abgänge stehen bevor, bei anderen steht in Frage, ob sie der Mannschaft in ihrer derzeitigen Verfassung weiterhelfen können. Auf einigen Positionen wird sich der VfB neu aufstellen müssen. Nach dem Umbruch im Sommer 2019 stehen in der kommenden Transferperiode wieder größere Anpassungen bevor. Lernt man aus den Erfahrungen der abgelaufenen Spielzeit?

Vor dem Umbruch kommt aber der Abbruch: Der untere Teil der Haupttribüne samt Kabinentrakt und der kompletten Stadiontechnik wird schon ab der kommenden Woche abgerissen. Hoffentlich erhält das Bild des jubelnden Wataru Endo nach dem erlösenden Siegtreffer einen Ehrenplatz an der neu zu gestaltenden Fotowand des Klubs. Der unendliche Japaner hätte es verdient.

VfB Stuttgart – 1. FC Köln 2:1

Zum Weiterlesen:

Wunder gibt es immer wieder – Vertikalpass

Mein erstes Spiel im Stadion: 1980 VfB – HSV 3:2 (Tore: Müller, Kelsch, Allgöwer) Mein schönstes Stadionerlebnis: 1991 VfB – BVB 7:0 (Allgöwer 2, Sverrisson 3, Walter 2) Meine erste Auswärtsfahrt: 1991 BVB – VfB 0:0 Emotionalster Erfolg: 1992 Deutscher Meister, letzter Spieltag B04 – VfB 1:2 (Tore: Walter, Buchwald) Lieblingsspieler: Helmut Roleder, Asgeir Sigurvinsson

2 Kommentare

  • schwabiliener

    Danke für diesen Beitrag! Sehr lesenswert, informativ und trifft alles meiner Meinung nach auf den Punkt.
    Freue mich auf die neue Saison und bin grad ganz optimistisch…

  • reybucanero74

    Danke für das nette Feedback. Was für ein unglaublicher Krimi mit einem glücklichen Ende! Bald gibt es im Blog einen Rückblick auf die Saison, bevor wir uns dann mit dem Kader für die kommende Saison beschäftigen. Irgendwas ist immer 😉

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