Auftritt des Gladiators
Im Vorfeld von Bundesligaspielen gegen die TSG Hoffenheim legen die regionalen Sportredaktionen die immer gleiche Platte auf: Derby oder kein Derby? Das ist hier die Frage. Pellegrino Matarazzo, der ja beide Klubs ziemlich gut kennt, antwortet in der Pressekonferenz diplomatisch: „Es kommt darauf an, wie man Derby definiert.“
Am frühen Samstagabend interessiert sich keiner mehr für solche Nebensächlichkeiten. Der VfB holt einen wichtigen Dreier und bringt das Stadion mit viel Intensität und Siegeswillen zum Hüpfen. Die SAP-Angestellten in ihren zartrosanen Auswärtsstramplern verschwinden dagegen schnell in der Umkleidekabine. Das einzige, was von der Derbyfrage noch übrig bleibt: Hoffentlich ist die A6 nicht wieder verstopft!
Kompaktes Zentrum
Nachdem sich Matarazzos Schützlinge in Bochum schwer taten, Kontrolle über das Spiel zu bekommen, formiert der VfB-Trainer gegen den Gast aus dem Kraichgau ein kompaktes Zentrum. Karazor kommt die Aufgabe zu, Andrej Kramaric schon im Ansatz an seinen gefährlichen Aktionen aus dem Zehnerraum zu hindern. Endo und Mangala sollen das Spiel nach vorne tragen und die beiden schnellen Angreifer Führich und Marmoush in Position bringen.
Was auf den ersten Blick nach einer sehr vorsichtigen Herangehensweise aussieht, entwickelt in der Anfangsphase einen solchen Druck auf die Hoffenheimer Hintermannschaft, dass der VfB in der 18. Minute schon den fünften Eckball verzeichnet, den der Spezialist für solche Situationen Marc Oliver Kempf zur Führung verwandelt. Nicht nur in dieser Szene zeigt der „Kempfer“ nach ein paar wackeligen Spielen, dass Rino ihm zurecht wieder das Vertrauen geschenkt hat.
Wille und Intensität
Auch wenn längst nicht alle Spielzüge gelingen, wirken die Weiß-Roten insgesamt wesentlich griffiger als zuletzt. Neben der Eckballbilanz lässt sich das auch an den vielen harten Zweikämpfen ablesen, die den Gegner sichtlich entnerven. Trotz optischer Überlegenheit kommt die Mannschaft von Sebastian Hoeneß mit zunehmender Spieldauer immer seltener zu gefährlichen Abschlüssen.
Wie man aus einem erfolgreichen Gegenpressing innerhalb weniger Sekunden ein Tor erzielt, macht nach einer Stunde Konstantinos Mavropanos vor. Unwiderstehlich umkurvt der Modellathlet die Hoffenheimer Abwehr und schießt überlegt zum 2:0 ins lange Eck ein. Sein Sportdirektor bezeichnet ihn gern als „griechischen Gladiator“ – was historisch natürlich ein ziemlich schiefes Bild ist – bei den Fans hat Dinos wohl spätestens seit diesem Auftritt den Status einer griechischen Gottheit erreicht.
Wichtiger Schritt
Vor Anpfiff wollten die Verantwortlichen die Wichtigkeit des Spiels nicht zu hoch hängen. Die junge Mannschaft sollte sich ohne allzu großen Druck endlich freispielen. Nach dem Spiel können wir aber konstatieren: Der Sieg ist sowohl psychologisch als auch tabellarisch von großer Bedeutung. Mit nunmehr 8 Punkten entfernt sich der VfB ein kleines Stück von der Abstiegszone und kann mit der Gewissheit in die Länderspielpause gehen, dass man in der Lage ist, einen Konkurrenten mit gehobenen Ansprüchen mit Kampfkraft und Mut zu besiegen.
Auch dem Selbstbewusstsein einzelner Spieler dürfte der gestrige Samstagnachmittag gut tun. Roberto Massimo feiert seine Torpremiere ausgelassen, Orel Mangala zeigt sich auf dem Weg zurück zu alter Form und die beiden Neuzugänge Führich und Marmoush finden so langsam ihren Platz im Angriffsspiel.
Der Boost aus der Kurve
Einige VfB-Spieler kennen die Atmosphäre in einem gut gefüllten Neckarstadion mit organisiertem Support noch gar nicht. Nach dem emotionalen Heimsieg gestern haben sie zumindest einen kleinen Vorgeschmack auf die Wucht, die das Stadion entwickeln kann, wenn der Funke überspringt. Mavropanos und Massimo wissen nun, wie gut sich ein Tor vor einer eskalierenden Cannstatter Kurve anfühlt. Mit dieser Energie werden die Jungs mit dem Brustring jedes Abstiegsgespenst schnell vertreiben.
Gegen die nächsten Gegner ist freilich wieder die gleiche Intensität gefragt. Adi Hütters Gladbacher ließen in Wolfsburg den zweiten Champions-League-Teilnehmer nacheinander schlecht aussehen, Union ist immer eklig zu spielen und Steffen Baumgart hat aus dem Fast-Absteiger 1. FC Köln wieder eine bissige Truppe geformt. Jedem beim VfB muss klar sein, dass man da nur mit vereinten Kräften bestehen wird.
Das Trauma von Elsenz
Kommen wir noch einmal zurück zu der leidigen Derby-Debatte. Verständlicherweise versuchen die regionalen Sportredaktionen, eine zusätzliche Brisanz in das Spiel hineinzuinterpretieren. Während die VfB-Fans genervt abwinken, fühlt sich die Kraichgauer Landbevölkerung ziemlich geschmeichelt. Die SWR-Blitzumfrage zeigte noch am Samstagvormittag eine klare Mehrheit für „Come on! (…) Klar ist das ein Derby“. Einen Tag später sieht das Ergebnis schon etwas anders aus.
Doch ein Blick zurück ins Frühjahr 1989 macht schnell klar, wie absurd die künstliche Konstruktion einer besonderen Rivalität zwischen dem VfB und der TSG ist. Wenige Wochen nachdem die Schwaben in zwei denkwürdigen Endspielen gegen Maradonas SSC Neapel einen europäischen Titel verpasst hatten, unterlag der badische Dorfclub im Relegationsspiel der Bezirksliga Sinsheim dem 1. FC Stebbach mit 2:4 nach Verlängerung.
Der ehemalige TSG-Stürmer und SAP-Chef Dietmar Hopp konnte schon damals vor lauter Geld kaum laufen und traf im Seewaldstadion zu Elsenz eine wegweisende Entscheidung. 50 plus 1 interessiert den verhinderten CureVac-Erlöser seitdem weniger, der Aufbau internationaler Farmteams mit Hilfe zwielichtiger Beraternetzwerke dagegen schon. Vielleicht sollte der SWR einmal darüber berichten.
VfB – TSG 1899 Hoffenheim 3:1
Zum Weiterlesen:
VertikalGIF #VfBTSG: Mavropornös! – Vertikalpass
reybucanero74
Mein erstes Spiel im Stadion: 1980 VfB – HSV 3:2 (Tore: Müller, Kelsch, Allgöwer) Mein schönstes Stadionerlebnis: 1991 VfB – BVB 7:0 (Allgöwer 2, Sverrisson 3, Walter 2) Meine erste Auswärtsfahrt: 1991 BVB – VfB 0:0 Emotionalster Erfolg: 1992 Deutscher Meister, letzter Spieltag B04 – VfB 1:2 (Tore: Walter, Buchwald) Lieblingsspieler: Helmut Roleder, Asgeir Sigurvinsson
7 Kommentare
1893seit1976
mein 1. Spiel, November 1976, VfB vs FCN, 4:0, 2.Liga, Torschützen Jank, Rest weiß ich nicht mehr, ich glaube Hitzfeld war dabei, bin mir nicht sicher.. ..
Lieblingsspieler: Kaaaaarle Allgöwer, Asgeir Sigurvinsson
Was ich nicht gut finde, sozusagen eher richtigen Käsemist:
Warum wird immer gegen Dietmar Hopp geätzt, auch in diesem Artikel?
Der Mann hat sicherlich einen auf schwäbisch gesagt „Arsch voll Geld“. Sicherlich hat er bei SAP Glück dabei gehabt um so viel zu verdienen. Wisst ihr was, ich gönne es ihm. Jeder von uns würde es auch nehmen.
Er hat in seiner Region ein Stadion gebaut und dieses letztendlich nicht (nur) für sich, sondern für die Menschen dort in der Region, die damit auch einen tollen Freizeitspaß bekommen haben.
Sicherlich, Hoffenheim ist sowas wie eine Retortenmannschaft, fast alle Anderen hatten es über Jahrzehnte hinweg vieeeeel schwerer.
Warum gönnt man das aber nicht der dortigen Region und Dietmar Hopp?
Ich habe gute Freunde aus dem Einzugsgebiet Sinsheim. Der Tenor dort ist:
„Das ist ein guter Mensch, investiert in Kindergärten, Spielplätze, Schulen,
Soziale Projekte…“
Vielleicht sollten einige mal darüber nachdenken, ob sie, würden sie so viel Geld haben, auch einen Teil davon in ihre Region investieren würden.
Die meisten der Ätzer, alles Neider. Brrrrrr mir ist ganz schlecht…..
Thomas
Man kann schlechte Dinge (Farm-Teams, Konventionalstrafen, hohe Geldstrafen für Ultras, hebelt 50+1 aus, etc.) nicht mit guten Dingen (baut Spielplätze und Schulen) wieder gut machen. Ganz einfach.
reybucanero74
Danke für Ihren Kommentar.
Das Engagement von Dietmar Hopp in allen Ehren. In dem Text geht es aber um die Frage, ob das Spiel ein Derby sein kann, und um die Geschäfte, die Hopp in Portugal und Brasilien am Laufen hat. Dabei geht es nämlich nicht um soziale Projekte. Der Kicker ist an der Geschichte schon seit einer Weile dran, der SWR hüllt lieber den Mantel des Schweigens darum. Darauf wollte ich aufmerksam machen.
Beste Grüsse!
1893seit1976
was ich noch vergaß:
Meine erste Auswärtsfahrt: ich glaube 1976 oder1977: 1.FC Saarbrücken – VfB, kann aber auch später gewesen sein. Ergebnis war glaube ich ein Unentschieden.
Emotionalster Erfolg: 1992 Deutscher Meister, letzter Spieltag B04 – VfB 1:2 (Tore: Walter, Buchwald) und Günne Schäfer kratzt den Ball per Fallrückzieher von der Linie, das ist DIE Glanzleistung eines VfB-Spielers die ich in den letzten 45 Jahren erleben konnte. Ich habe den ganzen Abend gesungen!
VfBeeeeeeeeeeeeeeh ein Leben lang!
Ute
Immer wieder sehr angenehm zu lesen, Deine Analysen sind erfrischend treffsicher 👍
reybucanero74
Vielen Dank!
1893seit1976
@Thomas
ganz schön arrogant, unweitsichtig und, der Lebenserfahrung wohl nicht mächtig, geantwortet.
Sie müssen noch viel lernen, Thomas. Aber, wenn man außer Fußball nichts hat? Na dann….
Wenn jemand so nen Blog betreibt, dann muß er auch neutral sein. Zumindest meine Meinung.