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Misstöne beim VfB Deutschland

Wer wird nächste Saison noch den Brustring tragen? (Foto: IMAGO, Sportfoto Rudel)

Wer gute Artikel zum VfB lesen will, wird immer seltener in der Stuttgarter Presse fündig. Tiefer gehende Gedanken zum Traditionsklub aus Cannstatt findet man eher beim gebürtigen Bopfinger Christof Kneer, der sich als Fußball-Chef der Süddeutschen Zeitung einen Namen gemacht hat.

„Ein Sommer als VfB Deutschland“ heißt einer seiner Texte, in dem er die versteckten Gefahren des VfB-Blocks bei der Heim-EM, alte schwäbische Fußballtraumata und die Herausforderungen vor der anstehenden Saison mit drei Wettbewerben kommentiert. Von der Ostalb stammend, wo die schroffe Landschaft des Mittelgebirges ins Nördlinger Ries übergeht und das „R“ der Einheimischen immer härter wird, kennt der Journalist die Befindlichkeiten des ambitionierten Klubs aus der Landeshauptstadt, der immer wieder an sich selbst scheitert.

Im Schaufenster

Wenn eine Mannschaft so erfolgreich ist wie der VfB in der abgelaufenen Saison und dazu auch noch schön spielt, geraten die Spieler in den Fokus der Scouts und Kaderplaner großer europäischer Klubs. Aktuelles Beispiel ist Hiroki Ito, den Sven Mislintat einst für sehr kleines Geld aus der zweiten japanischen Liga ausgegraben hat. In der kommenden Spielzeit wird der feine Linksfuß für den deutschen Rekordmeister auflaufen.

Die Ausstiegsklausel des 25-jährigen Japaners, kolportierte 23 Mio. Euro Sockelablöse, bringt den Schwaben einerseits eine außerordentlich hohe Kapitalrendite, andererseits wäre mit Ito auf dem freien Markt wahrscheinlich eine noch höhere Ablösesumme zu erzielen gewesen. Sein Profil und seine sensationelle Entwicklung machen ihn zu einem begehrten Transferziel.

Ähnliches gilt für die Leistungsträger Guirassy, Anton und Führich, deren vertraglich fixierte Ausstiegsklauseln für europäische Topvereine finanziell leicht zu stemmen sind. So funktioniert die Nahrungskette im modernen Fußball eben. Der Branchenprimus aus München bemüht sich um Tah und Xavi Simons von zwei direkten Ligakonkurrenten, Dortmund buhlt um Anton und Guirassy vom Vizemeister.

Enttäuschte Gefühle

Dass viele VfB-Fans dem Kapitän seinen Wechselwunsch übelnehmen, ist zwar verständlich, gleichzeitig aber auch ein bisschen naiv. Dachtet ihr wirklich, Anton hängt so an Stuttgart und dem Team, dass er das dreifache Gehalt und die bessere sportliche Perspektive in Dortmund in den Wind schlägt? Würdet ihr eine solche Karrierechance in eurem Berufsleben liegen lassen? Auch wenn die kürzlich formulierten Treueschwüre im Nachhinein höchst ungeschickt wirken, führen moralische Argumente im Profifußball nicht weiter.  

Ein Klub wie der VfB muss damit leben, dass die besten Spieler weiterziehen. In der vergangenen Saison schafften es die Verantwortlichen jedoch die Abgänge von Endo, Sosa und Mavropanos zu kompensieren, und die Mannschaft dabei sogar auf ein deutlich höheres Leitungsniveau zu bringen. Für die kommende Saison muss Trainer Hoeneß wieder ein neues Projekt auf die Beine stellen. Ein Abgang gibt Spielern aus der zweiten Reihe Raum zur Entwicklung und verändert hierarchische Strukturen. Im vergangenen Sommer haben kluge Neuverpflichtungen den Schmerz über die abgewanderten Fanlieblinge schnell abklingen lassen.

Neue Nüchternheit

Fabian Wohlgemuth könnte genau der Richtige sein, um Gefühlsduseleien gar nicht erst aufkommen zu lassen. In seiner Berliner Nüchternheit wirkt der frischgebackene Sportvorstand wie ein Anti-Reschke. Er freut sich keine Löcher in den Bauch, sondern versucht, das Kader-Puzzle auf Grundlage der gemeinsamen Analysen zu einem stimmigen Gesamtbild zusammenzusetzen.

Die Physis und Kopfballstärke eines Waldemar Anton hat er bereits vorausschauend mit der Verpflichtung von Jeff Chabot abgedeckt, für den Spielaufbau fehlt allerdings noch ein geeignetes Puzzleteil. Falls weitere Stammkräfte den Verein verlassen, muss das Bild wieder neu gestaltet werden. Keine leichte Aufgabe, die den Verantwortlichen da bevorsteht.

Angst vor dem Pogrebnyak-Syndrom

Die größte Sorge der Anhänger besteht darin, dass sich das Pogrebnyak-Syndrom wiederholt. Statt teure Stars mit großen Ansprüchen zu holen, sollte der VfB mehr Keitel und Woltemade wagen. Die beiden erweitern die Optionen des Trainers im zentralen Mittelfeld und in der Offensive. Der Streich-Liebling aus Freiburg soll sich neben Fußball sogar noch mit Dingen beschäftigen, die den Kopf fordern. In dieser Hinsicht also ein klares Upgrade zu Waldemar Anton.

Mein erstes Spiel im Stadion: 1980 VfB – HSV 3:2 (Tore: Müller, Kelsch, Allgöwer) Mein schönstes Stadionerlebnis: 1991 VfB – BVB 7:0 (Allgöwer 2, Sverrisson 3, Walter 2) Meine erste Auswärtsfahrt: 1991 BVB – VfB 0:0 Emotionalster Erfolg: 1992 Deutscher Meister, letzter Spieltag B04 – VfB 1:2 (Tore: Walter, Buchwald) Lieblingsspieler: Helmut Roleder, Asgeir Sigurvinsson

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