Siege schmecken süß
Nach 12 Punkten aus fünf Spielen und drei Dreiern in Folge reiste der VfB mit breiter Brust ins Rheinland. Thema im Interview vor dem Spiel ist die fast schon unheimliche Serie von Goalgetter Guirassy. Was haben Sie mit ihm gemacht, Herr Hoeneß?
Auf der anderen Seite steht eine Mannschaft, die in letzter Zeit keine Erfolge feiern konnte. FC-Trainer Baumgart gibt die Losung aus: Wir wollen unser Spiel spielen – diesmal aber gerne auch die Punkte mitnehmen. Doch daraus wird wieder nichts, obwohl die Heimelf engagiert zu Werke geht und Toptorschütze Guirassy diesmal nicht trifft. Fußball ist eben manchmal schwer zu erklären.
Im Stile einer Spitzenmannschaft
In den vergangenen Spielzeiten tat sich der VfB schwer mit dem Toreschießen. Gleich zwei Treffer in einem Spiel? Dieses Kunststück gelang letztes Jahr nur Silas beim 4:1-Heimsieg gegen Bochum. Ganz anders in dieser Saison: Deniz Undav erzielt am Samstag bereits den sechsten (!) Doppelpack eines VfB-Spielers. Glückliche Fügung oder Merkmal einer Spitzenmannschaft?
In Köln Müngersdorf sehen die 50 000 Zuschauer eine umkämpfte Partie mit leichten Vorteilen für den Tabellendritten. Ausgerechnet die verletzungsbedingte Auswechslung von Mittelfeldstabilisator Karazor gibt dem Spiel schließlich die entscheidende Wende: Trainer Hoeneß bringt Torjäger Undav und zieht Millot zurück ins defensive Mittelfeld. In der 68. Minute klaut Kapitän Anton dann seinem Gegenspieler Selke den Ball in der Kölner Hälfte, Stiller spielt einen starken Vertikalpass in den Lauf von Führich, der klug auf den Torschützen zurücklegt. Im Stile einer Spitzenmannschaft schicken die Gäste die Baumgart-Elf zum ersten Mal auf die Bretter. Spitzenmannschaft? Darf man dieses Wort in Stuttgart überhaupt aussprechen? Kurz vor Schluss geht es jedenfalls wieder ganz schnell: Anton zu Guirassy, der Silas steil schickt, Pfosten, Abstauber – der endgültige Knock-out.
Beim Blick in die Datenbanken erkennt man keinen eindeutigen Grund, warum der VfB dieses Spiel mit 2:0 gewonnen hat. Kurz vor der Führung macht sich eher das Gefühl breit, dass die Hausherren mit den Einwechslungen von Waldschmidt und Alidou die Oberhand gewinnen. Diese Story kennen die VfB-Fans zur Genüge: alles versucht, immer dran gewesen und am Ende trotzdem verloren. Wahrscheinlich ist der VfB noch weit von einer Spitzenmannschaft entfernt, aber der Effzeh weist Merkmale eines Teams auf, das bis zum Schluss gegen den Abstieg spielen wird.
Wie reif ist der VfB?
Reifen ist kein gleichmäßiger, berechenbarer Prozess. So kann uns ein einzelnes Erlebnis reifen lassen und oft tragen Niederlagen dazu bei, erwachsen zu werden. Doch beim VfB sind zurzeit Siege das Geheimrezept. Sie geben Selbstvertrauen und lassen schwierige Dinge plötzlich ganz leicht aussehen. Der Ball läuft auf einmal sicher durch die eigene Reihen, wo noch vor Kurzem Fehlpässe das Spiel hemmten. Taktische Disziplin und volle Konzentration gelten als Grundlagen des Profisports, und trotzdem misslingen manchmal selbst einfachste Dinge. Ist der VfB also im Rekordtempo gereift? Oder ist einfach nur der Glaube zurück? Der Glaube daran, siegen zu können.
Chris Führich ist einer von denen, die seit Saisonbeginn mit neuem Selbstbewusstsein agieren. Der dribbelstarke Außenstürmer setzt sich jetzt durch, wo er sich früher oft festgelaufen hat. Sein Rückpass vor dem ersten Tor zeugt von Übersicht und Spielintelligenz. Aber auch die Neuzugänge tragen ihren Teil dazu bei, dass die Mannschaft stabiler wirkt. Rouault und Leweling gelingt eine vor allem defensiv überzeugende Startelf-Premiere. Der 22-jährige Franzose vom FC Toulouse spielt für den angeschlagenen Zagadou einen soliden Part als Innenverteidiger, der Leihspieler vom FC Union wirkt im Zweikampf robust und geht auf seiner rechten Seite weite Wege.
Viele Puzzleteile ergeben am Ende einen Saisonstart, den so wohl niemand für möglich gehalten hätte. Aber wir sollten das nicht überbewerten, wie Sebastian Hoeneß vor Spielbeginn im TV-Interview anmerkt. Der gemeinsame Erfolg macht vieles einfacher und schweißt die Gruppe zusammen. Wirkliche Reife zeigt sich erst dann, wenn es einmal schlecht läuft.
Die Unerklärlichkeit des Fußballs
Erst einen Punkt hat der Effzeh auf dem Konto, als am Samstagnachmittag der Bundesligaklassiker gegen den VfB mit einer kraftvollen Choreographie der Südkurve beginnt. Die Mannschaft, der Trainer und das Stadion sind in den vergangenen Jahren zu einer verschworenen Gemeinschaft zusammengewachsen – wie die Plätze 7 und 11 in der Endabrechnung beweisen. Doch warum läuft es jetzt plötzlich nicht mehr? Wiegen die Abgänge von Kapitän Hector und Mittelfeldantreiber Skhiri so schwer? Sind Selke und Tigges nicht gut genug für die Bundesliga? Oder haben sich die Methoden von Steffen Baumgart inzwischen abgenutzt?
Nach solchen Antworten haben wir in Cannstatt zuletzt auch oft gesucht. Warum aber läuft das Maschinchen bei uns seit Wochen wie geschmiert? Ist Sebastian Hoeneß ein Wundertrainer? Hat Fabian Wohlgemuth beim Kader endlich an den richtigen Schrauben gedreht? Es mag rationale Argumente geben, die erklären, warum die Weiß-Roten im Moment so unwiderstehlich rollen. Vielleicht haben sie aber auch einfach nur Geschmack gefunden an dieser wunderbaren Süße, nach der nur Siege schmecken.
1. FC Köln – VfB Stuttgart 0:2
reybucanero74
Mein erstes Spiel im Stadion: 1980 VfB – HSV 3:2 (Tore: Müller, Kelsch, Allgöwer) Mein schönstes Stadionerlebnis: 1991 VfB – BVB 7:0 (Allgöwer 2, Sverrisson 3, Walter 2) Meine erste Auswärtsfahrt: 1991 BVB – VfB 0:0 Emotionalster Erfolg: 1992 Deutscher Meister, letzter Spieltag B04 – VfB 1:2 (Tore: Walter, Buchwald) Lieblingsspieler: Helmut Roleder, Asgeir Sigurvinsson