Wann kriegt der VfB die Kurve?

Gut 20 Minuten vor Spielende führt der VfB scheinbar komfortabel mit 3:1 und doch spürt jeder im Stadion, dass die Partie noch lange nicht entschieden ist. Das in seiner Dramaturgie brutale 3:4 haben wohl trotzdem die wenigsten vorhergesehen. Daran ist allerdings nicht die Klasse des amtierenden deutschen Fußballmeisters schuld, sondern der Kontrollverlust der Hoeneß-Elf in der Schlussphase.
Solche Erfahrungen können Mannschaften zum Leben erwecken – oder ihnen einen Knacks verpassen, den sie nicht so schnell verarbeiten. Die Gefahr für Letzteres besteht nun beim VfB. Die Weiß-Roten haben nämlich in den vergangenen fünf Partien ihr Selbstverständnis verloren. Sebastian Hoeneß muss nach dem sagenhaften Aufstieg, den er mit seinen Schützlingen seit April 2023 hingelegt hat, zum ersten Mal eine ernsthafte Schwächephase überwinden.
- Faden gerissen: In einer Phase, in der die Gäste aus Leverkusen Oberwasser bekommen, gelingt dem VfB der dritte Treffer (Eigentor Xhaka, 62.) nach einem Blitzangriff über Woltemade, Leweling und Demirovic. Der Bosnier scheitert zwar freistehend vor Hradecky, aber vom Gästekeeper prallt der Ball zuerst unglücklich an den Arm seines Mitspielers und danach ins Tor. Wer so viel Glück hat, dem wird der Sieg nicht mehr zu nehmen sein, oder? Falsch gedacht. Unerklärlicherweise wirken die Gastgeber nach dem erneuten Zwei-Tore-Vorsprung plötzlich kopflos und nervös. Die Struktur geht verloren – und am Ende auch das Spiel.
- Good cop, bad cop: Ein spielerischer und kämpferischer Aufschwung in Hoffenheim sowie gegen Bayern und Leverkusen ist nicht wegzudiskutieren. Daran kann der Trainer sicher anknüpfen. Klar ist allerdings auch: Bei der Bewertung einer Profimannschaft zählt in erster Linie, was hinten rauskommt. Und das waren in den letzten fünf Ligapartien nur zwei mickrige Pünktchen – für die Ansprüche des Trainers und der Mannschaft an sich selbst viel zu wenig.
- Angst vor dem Gewinnen: Kein Ligakonkurrent hat nach Führung bereits so viele Punkte abgegeben wie der VfB – nämlich 18. Dass die Mannschaft jetzt in fünf aufeinanderfolgenden Spielen jeweils einen Vorsprung verspielt hat, ist ein erschreckender Wert. Erinnerungen an längst vergangen geglaubte Zeiten im Abstiegskampf werden wach. Wer 20 Minuten vor Schluss mit zwei Toren führt, muss auf Stabilität und kluges taktisches Verhalten achten. Davon war am Sonntagabend leider überhaupt nichts zu sehen.
- Verwechselt: Mit Millot nimmt Hoeneß in der 68. Minute eine seiner wirkungsvollsten Offensivkräfte vom Feld. Der für ihn eingewechselte Undav hat in der Folge kaum nennenswerte Offensivaktionen. Auch die anderen Wechsel schwächen das Team eher, als dass sie es stärken. In der Nachspielzeit lässt sich Führich auf der linken Abwehrseite von Frimpong düpieren. Ein echter Verteidiger hätte sich kurz vor Abpfiff sicher cleverer verhalten. Das muss sich auch der Trainer ankreiden lassen.
- Spitze, Breite und Tiefe: Einige Führungsspieler befinden sich seit Wochen in einer Formkrise. Nübel schlägt jeden zweiten Ball ins Nichts, Karazor wirkt phasenweise wie ein Tipp-Kick-Männchen und Undav ist ein Schatten seiner selbst. Auch in der Breite und Tiefe weist der Kader Schwächen auf. Während Alonso sein Team von der Bank belebt, steht Hoeneß kein Gamechanger mehr zur Verfügung. Diehl, Rieder und Keitel scheinen momentan den Anschluss verloren zu haben.
- Challenge für Hoeneß: An den Verdiensten des Cheftrainers für den VfB Stuttgart gibt es keinen Zweifel. Aber jetzt steht er vor einer Aufgabe, die zwar nicht so dramatisch ist bei seinem Amtsantritt im April 2023, aber dennoch nicht leicht zu lösen. Nach dem Spiel in Kiel hat Hoeneß den Ton merklich verschärft. Jetzt gilt es, den Rückschlag gegen Leverkusen zu verarbeiten und die Negativserie zu stoppen. Für dieses Ansinnen ist das anstehende Auswärtsspiel bei der Eintracht eher undankbar.
VfB Stuttgart – Bayer 04 Leverkusen 3:4
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reybucanero74
Mein erstes Spiel im Stadion: 1980 VfB – HSV 3:2 (Tore: Müller, Kelsch, Allgöwer) Mein schönstes Stadionerlebnis: 1991 VfB – BVB 7:0 (Allgöwer 2, Sverrisson 3, Walter 2) Meine erste Auswärtsfahrt: 1991 BVB – VfB 0:0 Emotionalster Erfolg: 1992 Deutscher Meister, letzter Spieltag B04 – VfB 1:2 (Tore: Walter, Buchwald) Lieblingsspieler: Helmut Roleder, Asgeir Sigurvinsson