Oh, das Knie

„Hyeon-gyu Oh to VfB Stuttgart – DONE DEAL“, meldet der „Transferjournalist“ Plettenberg am Sonntagabend. Einen Tag später ist der DEAL dann plötzlich doch OFF: MEDICAL FAILED. Wer da nicht mehr mitkommt, dem sei im Folgenden in aller Kürze erklärt, wie der Transfermarkt des internationalen Profifußballs zu einem wahren Zirkus geworden ist. Wer schnell, geschickt und skrupellos ist, setzt sich durch. Doch aufgepasst: Hohe Transfererlöse garantieren noch längst keinen erfolgreichen Fußball.
Rekordsummen
Der unumstrittene König im Transferzirkus ist seit einigen Jahren die englische Premier-League. Schwerreiche Investoren – häufig aus Ländern, die nicht als lupenreine Demokratien bekannt sind – spülen massenhaft frisches Kapital in den Markt. Kapital, das die Preise in die Höhe treibt.
90 Millionen für den letzten Sommer noch ablösefreien Woltemade? Für den saudi-arabischen Staatsfond nur Kleingeld. Klubs, die noch auf persönliche Absprachen und charakterliche Eignung Wert legen, schauen da in die Röhre. Die Dynamik dieses Transfermarkts kann Schwindel verursachen. Der Hype um den „Mercato“ gibt Trittbrettfahrern eine Bühne. Der gewöhnliche Fußballfan rollt nur noch mit den Augen.
Niemals zuvor wurden in einem Transferfenster so hohe Summen umgesetzt wie in diesem Sommer. Neben den englischen Klubs pumpen Vereine aus dem arabischen Raum frisches Geld in den Kreislauf – zum Beispiel 28 Millionen Euro für Enzo Millot. Aus VfB-Perspektive könnte man sagen: Die Scheichs füllen das Festgeldkonto insgesamt mit einem Betrag, der den Einnahmen aus drei Champions-League-Qualifikationen entspricht. Oder drei Ausgliederungen.
Das richtige Timing
Angesichts dieser Rekordeinnahmen zeigen sich die Vorstände Wehrle und Wohlgemuth zufrieden, doch beim Trainer und den Fans sieht die Lage etwas anders aus. Aus sportlicher Sicht ist der Kader nämlich nicht stärker einzuschätzen als in der Vorsaison. Die Planstelle im Angriffszentrum bleibt unbesetzt und die beiden Last-Minute-Zugänge müssen sich erst an die Bundesliga gewöhnen.
Hat die sportliche Leitung den richtigen Zeitpunkt für die Transfers versäumt? Je früher man nämlich auf dem entfesselten Transfermarkt zuschlägt, desto vernünftiger sind Preise und Konditionen. Auf den lange feststehenden Millot-Abgang reagiert man erst im September, für den südkoreanischen Stürmer Hyeon-gyu Oh hätte der VfB über 25 Millionen Euro hinlegen müssen. Für einen Spieler wohlgemerkt, der in der belgischen Liga nur von der Bank kommt.
Unter der Federführung von Wohlgemuth hat der VfB in diesem Sommer insgesamt sieben neue Spieler verpflichtet, darunter drei offensive Außen und drei zentrale Mittelfeldspieler. Der Wechsel eines Mittelstürmers scheitert am Veto der Ärzte, die dem Knie des Transferkandidaten nicht trauen. So munkelt man zumindest. Plötzlich wirkt das Millionenbusiness wie der Gebrauchtwagenkauf auf einem schummrigen Hinterhof.
Sportliche Entschleunigung?
Bei so viel Geld müsse man beim VfB eben eine leichte sportliche Entschleunigung in Kauf nehmen, kommentiert die lokale Sportredaktion. Vielleicht ist es aber auch genau umgekehrt: Ein gutes Abschneiden in den Pokalwettbewerben oder die erneute Qualifikation für einen internationalen Wettbewerb über die Liga sind mittelfristig mehr wert als ein bis auf den letzten Tropfen ausgepresster Woltemade-Deal. Auch das ist ein Merkmal des Transferwahnsinns: Gewinner und Verlierer der ganzen Show stellen sich oft erst später heraus.
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reybucanero74
Mein erstes Spiel im Stadion: 1980 VfB – HSV 3:2 (Tore: Müller, Kelsch, Allgöwer) Mein schönstes Stadionerlebnis: 1991 VfB – BVB 7:0 (Allgöwer 2, Sverrisson 3, Walter 2) Meine erste Auswärtsfahrt: 1991 BVB – VfB 0:0 Emotionalster Erfolg: 1992 Deutscher Meister, letzter Spieltag B04 – VfB 1:2 (Tore: Walter, Buchwald) Lieblingsspieler: Helmut Roleder, Asgeir Sigurvinsson