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Mit flacher Lernkurve ins Viertelfinale

Nicht nur mit Blick auf die Stadien der beiden Kontrahenten ist das DFB-Pokal-Achtelfinale am frühen Dienstagabend ein Duell der Gegensätze: auf der einen Seite der Wellblech-Bausatz in Ostwestfalen, auf der anderen das altehrwürdige Neckarstadion, in das zur Zeit wieder Abermillionen investiert werden. Auch was das Erfüllen der eigenen Ansprüche betrifft, gibt es einen erheblichen Unterschied. Während der Sportclub aus Paderborn mit dem Verlauf der Zweitligasaison zufrieden sein darf, hat der VfB vor Kurzem wieder einmal die sportliche Strategie über den Haufen geworfen, um dem Abstieg aus der Bundesliga zu entgehen.

Ein Hauch von Walterball

Als Hitzlsperger und Mislintat im Sommer 2019 den Neuanfang einleiteten, wählten sie Tim Walter als Cheftrainer aus. Seine besondere Spielidee brachte die Fans erst zum Staunen und wenig später zur Verzweiflung. Spielkontrolle durch Ballbesitz steht auch bei Labbadia hoch im Kurs. Wie oft kann man sich den Ball zuschieben, wie viele Ecken ausführen, ohne wirklich Gefahr zu erzeugen? 686 Pässe und 17 Eckbälle, lautet die Antwort. Da kommen Erinnerungen an ein qualvolles Heimspiel gegen Wehen-Wiesbaden hoch. Wobei der letzte Eckstoß in der Home-Deluxe-Arena zu Paderborn dann doch noch zum Siegtreffer des Favoriten führt.

Von Deluxe ist freilich über weite Strecken nichts zu sehen. Auch Vertikalpässe gibt es in Brunos System eher selten, genauso wenig wie direkte Kombinationen. Der Ball könnte ja verloren gehen, womöglich sogar ein Gegenangriff eingeleitet werden. Also lieber drei Mal quer und dann wieder zurück. Er sei eben ein Kontrollfreak, gab der Trainer kürzlich auf einer Pressekonferenz zu. Die Älteren erinnern sich, dass er mit dieser Art Fußball schon vor zehn Jahren das Stadion leergespielt hat. Diesmal reicht es gegen einen harmlosen Zweitligisten immerhin zum Einzug ins Pokal-Viertelfinale.

Auf der Suche nach der besten Elf

Seit vier Pflichtspielen und mehr als acht Wochen trägt der Südhesse inzwischen die Verantwortung in Bad Cannstatt. Dass er die Mannschaft in intensiven Trainingseinheiten auf Kurs gebracht hat, kann man nach dem über weite Strecken hilflosen Auftritt in Paderborn nicht behaupten. Im Gegenteil: Bruno sucht nach wie vor 14 bis 15 Spielern, denen er die schwierige Mission Klassenerhalt zutraut.

Florian Müller gehört dazu, obwohl er seit Längerem ein Risikofaktor ist. Nach dem kuriosen Mavropanos-Eigentor merkt man dem Saarländer bei jeder Ballberührung die Verunsicherung an. Auf der rechten Abwehrseite hat sich Labbadia für Waldemar Anton entschieden, obwohl der seine Stärken eindeutig in der Innenverteidigung hat. Links hinten spielt Josha Vagnoman so schlecht, dass der Trainer schon zur Pause ein Einsehen hat. Von einer funktionierenden Viererkette ist weit und breit nichts zu sehen. Ob das mit Sosa und Zagadou besser wird?

Weiter vorne geben Karazor und Endo zwar Stabilität, versprühen aber keine Kreativität. Der einzige zentrale Mittelfeldspieler mit Tempo wird ab sofort in der Premier League spielen. Und auf den offensiven Außen? Da fehlt Konstanz, Effizienz und – so ehrlich muss man sein – Qualität. Weder Perea noch Coulibaly oder Egloff können diesen Part momentan auf dem erforderlichen Niveau spielen. Auch bei Führich und Silas sind noch erhebliche Schwächen in der Entscheidungsfindung und beim Abschluss zu erkennen.

Goalgetter Guirassy und Neuzugang Dias drehen das Spiel in der Schlussphase. (Foto: vfb.de)

Unter dem Strich strahlt außer Guirassy kein Angreifer wirklich Torgefahr aus. Wer soll denn die notwendigen Treffer für den Klassenerhalt schießen? Gil Dias von Benfica macht bei seinem Kurzeinsatz gleich einmal auf sich aufmerksam, als Torjäger ist der Portugiese bei seinen vorherigen Stationen aber wirklich nicht aufgefallen. Gleiches gilt für den zweiten Winterneuzugang Genki Haraguchi. Dennoch dürfte der 31-jährige Japaner den Konkurrenten im Kader schnell den Rang ablaufen. Selber schuld, immerhin haben es Beyaz, Coulibaly, Millot und Egloff versäumt, das Trainerteam in den vergangenen acht Wochen von sich zu überzeugen.  

Heimsieg ist Pflicht

Der verdiente, wenn auch erst in letzter Minute eingetütete Viertelfinaleinzug zeigt die Defizite der Mannschaft noch einmal deutlich auf. Beim anstehenden Heimspiel gegen den direkten Konkurrenten aus Bremen wird es nicht reichen, erst die 17. Ecke gefährlich vors Tor zu bringen. Die Lernkurve unter dem als Garanten für den Klassenerhalt verpflichteten Trainer muss schleunigst steiler werden. Labbadia-Fußball mit einer angemessenen Punkteausbeute lassen sich die Leute vielleicht eine Zeit lang gefallen, ohne Punkte verkommt das Gerede von Stabilität und Erfahrung schnell zu leeren Worthülsen.

SC Paderborn – VfB Stuttgart 1:2

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Mein erstes Spiel im Stadion: 1980 VfB – HSV 3:2 (Tore: Müller, Kelsch, Allgöwer) Mein schönstes Stadionerlebnis: 1991 VfB – BVB 7:0 (Allgöwer 2, Sverrisson 3, Walter 2) Meine erste Auswärtsfahrt: 1991 BVB – VfB 0:0 Emotionalster Erfolg: 1992 Deutscher Meister, letzter Spieltag B04 – VfB 1:2 (Tore: Walter, Buchwald) Lieblingsspieler: Helmut Roleder, Asgeir Sigurvinsson

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