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Vom Kurs abgekommen


Kurz vor Abpfiff greift Sasa Kalajdzic mit beiden Händen an den Kragen seines Trikots, als wolle er es zerreißen und vergräbt danach sein Gesicht darin. Ihm ist der Frust über die erneute Niederlage deutlich anzumerken. Vor drei Wochen hat der lange Österreicher noch eine „Monsterrückrunde“ angekündigt. So langsam dürfte ihm klar werden, wie weit die Mannschaft aktuell von der Leistungsfähigkeit der vergangenen Saison entfernt ist.

Straight Flush

Zu den Aufgaben eines Sportdirektors gehört auch, die eigene Mannschaft gegen öffentliche Angriffe in Schutz zu nehmen, zumal bei einer so jungen Truppe wie beim VfB. Sven Mislintat hat diese Mission verinnerlicht, vor allem wenn es darum geht, die von ihm selbst verpflichteten Rohdiamanten zu lobpreisen.

Beim 0:5 gegen die Bayern fand der selbstbewusste Westfale die Leistung seiner Mannschaft überhaupt nicht zum Schämen, in Köln beklagte er das unglückliche späte Gegentor, in Fürth hat er „defensiv eine stabile Partie“ gesehen, gegen Leipzig klare Vorteile in allen relevanten Statistiken (außer bei den Toren) und in Freiburg war nun der nicht gegebene Strafstoß schuld. Zusammengerechnet macht das an den letzten fünf Spieltagen einen lupenreinen Straight Flush der Schönfärberei. Leider nur mit einem mageren Pünktchen garniert – und ohne ein einziges eigenes Tor.

Man könnte darüber lächeln wie über eine kleine Schrulle, wenn die Fußballsternchen im Brustring am Wochenende so engagiert spielten, wie ihr Sportdirektor im Fernsehen auftritt. Die Leistung in Freiburg ist jedoch so blutleer und harmlos, dass sich manch einer fragt, ob der Mann mit den wuscheligen Haaren womöglich ein ganz anderes Spiel gesehen oder im Eifer des Gefechts einfach zu lange die Luft angehalten hat.

Von einem Sportdirektor erwarte ich, dass er das Geschehen auf dem Fußballplatz und den Leistungsstand seiner Mannschaft realistischer einordnet. Jeder Laie hat nämlich erkannt, dass der SC Freiburg hochverdient das vierte Ligaduell hintereinander gewinnt. Die sportliche Führung, die noch im Dezember vehement mehr Einfluss für sich beanspruchte, muss schleunigst den Kurs korrigieren, wenn man am Saisonende nicht auf Grund laufen will. Mislintats Wutrede gegen die Schiedsrichter mag emotional verständich sein, strategisch erweist er dem VfB damit einen Bärendienst.

Mann gegen Mann

In den ersten 30 Minuten entwickelt sich im neuen Europa-Park-Stadion das erwartet enge Spiel. Matarazzo hat sich entschieden, die Formation des Gegners zu spiegeln. Borna Sosa rückt als klassischer Außenverteidiger in die Kette zurück, während Führich und Mavropanos die starke linke Seite der Freiburger kontrollieren sollen. Defensiv steht die Mannschaft zunächst sicher, schafft es aber nicht, Druck nach vorne zu entwickeln.

Nach 90 Minuten weist die Statistik einen einzigen Abschluss der Weiß-Roten auf das Tor von Mark Flekken aus. Mit zunehmender Spielzeit werden die Angriffsbemühungen immer wirrer, die Einwechselspieler können das Spiel wieder einmal nicht beleben. Schon vor der Partie wusste man, dass Christian Streich gerne mannorientiert verteidigen lässt. Hinterher müssen wir konstatieren, dass der VfB in den entscheidenden direkten Duelle den Kürzeren gezogen hat.

Frust pur herrscht bei den VfB-Profis Waldemar Anton (25, l.) und Konstantinos Mavropanos (24, r.).
Anton und Ito wissen, dass sie beim zweiten Gegentor nicht gut aussahen. (Foto: Tom Weller/dpa)

Eine Frage der Qualität

Auch wenn die Verantwortlichen beim VfB oft betonen, dass genug Qualität im Kader vorhanden sei, sehen wir Woche für Woche multiple Überforderung. Auf der Ersatzbank sitzen in Freiburg wieder viele Nachwuchstalente, die sich erst an das Tempo und die Härte der Bundesliga gewöhnen müssen. Keine gute Voraussetzung, wenn es im Abstiegskampf um jeden einzelnen Punkt geht.

Umso verwunderlicher, dass die sportliche Führung entschieden hat, dass ein gestandener Spieler wie Marc Oliver Kempf nicht mehr helfen darf. Waren Typen wie er nicht als Stützen für die jungen Kollegen vorgesehen? Von wem können wir denn jetzt erwarten, dass er das Ruder herumreißt? In der Startelf stehen zum zweiten Mal Tibidi und Coulibaly.

Zu Beginn der Rückrunde wird immer deutlicher, dass das Gesamtpaket, das Hitzlsperger und Mislintat für die laufende Saison geschnürt haben, zur Zeit nicht bundesligatauglich ist. Je schneller die beiden zu dieser Einsicht gelangen, desto wahrscheinlicher ist es, dass man den erneuten Abstieg verhindern kann. Es bleiben 14 Spiele und die Konkurrenz punktet fleißig weiter.

Viel Arbeit in Marbella

Unter anderem an den körperlichen Grundlagen wolle man im Trainingslager in Marbella arbeiten, lässt Sven Mislintat nach dem Spiel wissen. Nach fünf Niederlagen in Folge sollte man vielleicht auch den Teampsychologen einbinden. Währenddessen hätte der Kaderplaner Zeit, die letzten acht Tage des Transferfensters zu nutzen. Ein offensiver Leihspieler mit Bundesligaerfahrung könnte dem Projekt Klassenerhalt sicher nicht schaden.

Zumindest Sasa Kalajdzic hat verstanden, worum es geht: „Jeder muss sich fragen, was er besser machen kann. (…) Wir müssen uns jetzt aufrappeln und die Zeit bis zum nächsten Spiel nutzen, um uns zu verbessern.“ Am Samstag in zwei Wochen dürfen gegen die Eintracht vielleicht wieder ein paar Zuschauer ins Stadion. Dann können auch wir beweisen, dass wir den Abstiegskampf angenommen haben.

SC Freiburg – VfB 2:0

Zum Weiterlesen:

Gimme me hope, VfB! – Vertikalpass

Mein erstes Spiel im Stadion: 1980 VfB – HSV 3:2 (Tore: Müller, Kelsch, Allgöwer) Mein schönstes Stadionerlebnis: 1991 VfB – BVB 7:0 (Allgöwer 2, Sverrisson 3, Walter 2) Meine erste Auswärtsfahrt: 1991 BVB – VfB 0:0 Emotionalster Erfolg: 1992 Deutscher Meister, letzter Spieltag B04 – VfB 1:2 (Tore: Walter, Buchwald) Lieblingsspieler: Helmut Roleder, Asgeir Sigurvinsson

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